Martina Renner, DIE LINKE: Fehler der Sicherheitsbehörden – umfassende Aufklärung verweigert

Fehler der Sicherheitsbehörden vor und nach dem Anschlag – umfassende Aufklärung verweigert

Martina Renner

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren der demokratischen Fraktionen.

Der 1. Untersuchungsausschuss der 19. Wahlperiode ist mit der Aufgabe angetreten die Hintergründe des Anschlags auf den Breitscheidplatz lückenlos aufzuklären. Wir hatten den Anspruch die im Vorfeld des Anschlags begangenen Fehler der Sicherheitsbehörden konkret zu benennen. Wir hatten den Auftrag, Vorschläge zu unterbreiten, wie die Sicherheitsstruktur in diesem Land verbessert werden kann. Die Bundesregierung gab den Hinterbliebenen der zwölf Getöteten und den vielen Verletzten ein Versprechen, die Aufklärungsarbeit des Ausschusses uneingeschränkt zu unterstützen. 

Wir haben festgestellt. Der Attentäter war vor der Tat in islamistische Strukturen in Deutschland eingebunden. Er hat mit relevantesten Personen der Szene engsten Kontakt gehabt. Er hat versucht, sich die zur Durchführung der Tat notwendigen Mittel zu besorgen. Er hat monatelang auf den Moment gewartet diesen Anschlag zu begehen.

Die Sicherheitsbehörden hatten von diesen Dingen Kenntnis und haben dennoch nicht rechtzeitig gehandelt, um diesen Anschlag zu verhindern. Auf Seiten der Polizeibehörden wurden durchweg falsche Bewertungen vorgenommen und fahrlässig die notwendigen Maßnahmen nicht getroffen. Die Geheimdienste hatten mehr Informationen über den Attentäter und sein Umfeld als unmittelbar nach dem Anschlag aber auch bis heute von offizieller Seite zugegeben wird.

Der Attentäter des Anschlags hat nicht alleine gehandelt. Er wurde vor seiner Tat in Deutschland ideologisch geschult und logistisch sowie finanziell unterstützt. Er war kein Einzeltäter. Dies herauszuarbeiten war ein Verdienst der demokratischen Opposition.

Die Sicherheitsbehörden klammern sich an die Erzählung vom Einzeltäter. Warum? Wenn man weiter an der falschen Konzeption des Einzeltäters festhält, wird man zukünftigen Terror nicht verhindern können. Die Fiktion des Einzeltäters, des alleine in einem Vakuum agierenden Terroristen, gefährdet im Vorfeld von Anschlägen deren Verhinderung und im Nachgang eines Anschlags dessen umfassende und erfolgreiche Aufklärung. Die falsche Vorstellung des spontan radikalisierten Einzeltäters muss ersetzt werden durch ein Verständnis für die teilweise europaweit gut vernetzten und agierenden Strukturen, die Wege der Waffenbeschaffung und davon, wie sich innerhalb der Szene unterstützt und Anschläge vorbereitet werden. Solange die Sicherheitsbehörden nicht bereit sind eine andere Perspektive mit Blick auf terroristische Netzwerke einzunehmen, wird die Gefahr nicht gebannt.

Das grundsätzliche Problem des Verhältnisses der Regierung zum Parlament im Zusammenhang mit Untersuchungsausschüssen hat sich in den letzten Jahren verschärft. Von rückhaltloser Aufklärung kann nicht die Rede sein. Akten und Zeug*innen wurden zurückgehalten.

Hier wird immer wieder seitens der Regierung mit Staatswohl argumentiert. Ich meine, was kann mehr im Interesse der Demokratie und der Gesellschaft liegen, also auch des Staates, als Fehler von Behörden aufzuarbeiten und Terrorabwehr zu verbessern. Würdiges Gedenken meint immer auch Aufklärung nie abzuschließen, entschieden Mittäter zu ermitteln und den Erwartungen von Opfern und Hinterbliebenen gerecht zu werden.

Dies lässt sich sehr gut am Beispiel der Geheimdienste wie unter einem Brennglas erklären. Formal ist der Geheimdienst eine Behörde oder Abteilung des Innenministeriums und müsste sich daher in all seinem Handeln der parlamentarischen Kontrolle unterwerfen. Aber vom Selbstverständnis und der Arbeitskultur her wird sich dieser demokratischen Kontrolle permanent entzogen. Und dabei wird der Geheimdienst von Teilen des Parlaments aktiv unterstützt, auch in diesem Ausschuss. Und man fragt sich manchmal: auf welcher Seite stehen einige Abgeordnete eigentlich? Auf Seiten des Parlaments oftmals nicht.

Dennoch: Auch gegen die Widerstände aus der Bundesregierung und der Koalition konnten wir aufklären, dass bei den Geheimdiensten viel mehr Informationen über den Attentäter vorlagen als dies zunächst zugegeben wurde. Diese Hinweise sind teilweise vorsätzlich und illegal nicht an die Strafverfolgungsbehörden gelangt. Der Attentäter war von V-Leuten umstellt. Wir kennen das aus rechtsterroristischen Komplexen.

Wir sehen hier einen weiteren Baustein erfüllt, der uns bestärkt in unserer Forderung. die Verfassungsschutzbehörden als Geheimdienste abzuschaffen und durch eine wissenschaftlich arbeitende, unabhängige Dokumentationsstelle zu ersetzen.

Nach drei Jahren Ausschuss gilt mein Mitgefühl den heute auch hier teilweise anwesenden Angehörigen der Getöteten und den vielen Verletzten des Anschlags vom Breitscheidplatz. Die Aufgabe des Parlaments in der anstehenden zwanzigsten Wahlperiode wird es sein, auch in Erinnerung an diese Menschen, die Arbeit im Sinne einer besseren parlamentarischen Kontrolle der Sicherheitsbehörden auf dem Weg zu einer besseren strukturellen Ausrichtung fortzuführen. Die Aufgabe wird es sein, hier auch die Rechte der Opfer terroristischer Gewalt zu verbessern.

Es gilt das gesprochene Wort, den gesamten Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses mit dem Sondervotum der Fraktionen DIE LNKE, FDP und BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN ab S. 1129 gibt es hier

Das Sondervotum zum Untersuchungsausschuss Breitscheidplatz der demokratischen Opposition (GRÜNE, FDP und LINKE) können Sie hier im angehängten PDF nachlesen.