Gestern illegal – Heute Gesetz

Martina Renner
Martina RennerReden

Jahrzehntelang betrieb der Bundesnachrichtendienst mit halbseidenen Konstruktionen Spionage gegen Menschenrechtsorganisationen, befreundete Regierungen und Bürgerinnen und Bürger. Statt dieser Praxis ein Ende zu setzen und die Privatsphäre der Menschen wirksam zu schützen, hat die Koalition ein Gesetz geschaffen, das die Befugnisse des BND sogar noch ausweitet.

Martina Renner (DIE LINKE):

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor allem auch: Liebe Bürgerrechtsengagierte, die Sie draußen vor der Tür gerade protestieren! Ich weiß noch genau, welches Bild der BND zu Beginn der Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses zeichnen wollte: Man hätte nicht so genau gewusst, was der große Bruder NSA in Deutschland und Europa treibt. Der kleine Bruder BND würde sich hingegen immer an Recht und Gesetz halten, nie die eigenen Bürger ausspähen und schon gar nicht Spionage aufgrund von Wirtschafts- oder Machtinteressen durchführen. Inzwischen ist klar: Der kleine Bruder Bundesnachrichtendienst wusste genau Bescheid. Er hat dem US-Geheimdienst die Türen geöffnet, damit dieser an den Internetverkehr in Europa gelangen konnte. Er hat das Parlament, manchmal auch das Bundeskanzleramt und fast immer die betroffenen Unternehmen getäuscht. Er tat dies absichtsvoll und im vollen Bewusstsein der Illegalität. - Ich weiß, wovon ich rede. Das ist das Ergebnis von zweieinhalb Jahren harter Aufklärungsarbeit im Untersuchungsausschuss.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für diese Praxis des Bundesnachrichtendienstes wurde ein perfides System aus Abschirmen, Legendieren und Nicht-Dokumentieren installiert. Vielleicht gab es dieses System im Bundesnachrichtendienst schon immer. Tricksen, Tarnen, Täuschen - so lässt sich das Credo des BND zusammenfassen.

Nun hat man den kleinen Bruder erwischt, angeschoben durch Edward Snowden, dokumentiert in den unzähligen Protokollen des Untersuchungsausschusses, in der Klage der G 10-Kommission, in der Klage des Internetknotenbetreibers DE-CIX und in den Beanstandungen der Datenschutzbeauftragten. Und was passiert jetzt? Nichts! Keine Reue, kein Umsteuern, kein Zur-Rechenschaft-Ziehen der Verantwortlichen!

(Tankred Schipanski (CDU/CSU): Kein rechtswidriges Verhalten!)

Stattdessen wird die Rechtslage nach den Wünschen des Geheimdienstes angepasst,

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das geht ja gar nicht!)

und das bedeutet anlasslose Massenüberwachung.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, der Bundesnachrichtendienst will nicht mehr der kleine Bruder der NSA sein. Nein, der Gesetzentwurf der Großen Koalition macht ihn nun zum Zwilling.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Was? Eineiig oder zweieiig? - Gegenruf der Abg. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Das können wir Ihnen überlassen!)

- Eineiig. - Ihnen ist das auch bewusst. Die Sachverständigen haben es Ihnen gesagt. Sie kennen die politischen wie juristischen Argumente. Allein, es stört Sie wenig. „Sollen sie doch klagen“, haben Sie im Innenausschuss gesagt, „die Bürgerinnen und Bürger, die Provider, die Opposition!“. Sie werden heute sagen: Wir haben lediglich unterschiedliche Rechtsauffassungen, was den Schutz der Privatsphäre von Menschen, auch denen ohne deutschen Pass, angeht.

(Tankred Schipanski (CDU/CSU): Nein, Sie leben in einer ganz anderen Welt!)

Wir hingegen sagen: Bürger- und Menschenrechte sind unteilbar.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sagen: Dieses Gesetz ist ein Geschenk für den BND, weil er jetzt auch in Deutschland legal ans Kabel darf, und zwar auch dann, wenn es keinen konkreten Verdacht gibt. Nun braucht der Bundesnachrichtendienst nicht länger gewöhnliche deutsche Staatsbürger zu Funktionsträgern umzudefinieren, um sie bespitzeln zu können. Jetzt darf er es - ganz legal. Nun braucht der BND nicht mehr Satellitendaten für außerirdisch zu erklären, um sie abzufangen. Er darf es jetzt einfach - ganz legal.

Die anlasslose und umfassende politische Spionage gegen Hilfsorganisationen, Presse, Regierungen in europäischen Ländern und Bürgerinnen und Bürger wird durch dieses Gesetz ermöglicht. Es ist nicht so, dass dies nur die ungeliebte Opposition sagt. Unterschiedliche Nichtregierungsorganisationen wie Reporter ohne Grenzen, Amnesty International und die drei Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen haben Ihren Gesetzentwurf gerügt. Die bisherige Praxis, die nun legalisiert werden soll, wurde von anerkannten Juristen und nicht zuletzt von Deutschlands oberster Datenschützerin immer wieder als schlichtweg illegal angeprangert. Wie reagieren Sie darauf? Sie belohnen den Geheimdienst mit mehr Befugnissen für Massenüberwachungen.

Nun werden Sie mir vermutlich erklären, dass ein toller Filter den sogenannten deutschen Kommunikationsverkehr automatisch aussortieren wird. Aber das ist Augenwischerei; Sie wissen es. Lesen Sie die Gutachten! Wenn nur 5 Prozent durchrutschen, bleiben - am Beispiel von diesem Jahr - am Schluss 34 Millionen Gigabyte Daten, die auch deutsche Staatsbürger und Staatsbürgerinnen betreffen können.

(Clemens Binninger (CDU/CSU): Da klatschen nicht einmal die eigenen Leute!)

Sie haben vorhin gesagt - Sie wiederholen das sehr gerne -, wir kritisierten diesen Gesetzentwurf nur, weil wir Geheimdienste abschaffen wollten. Ich sage Ihnen: Die Dienste haben sich selbst ins Unrecht gesetzt.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie sind eine Gefahr für die Demokratie. Der Bundesnachrichtendienst hat sich Jahrzehnte nicht an Recht und Gesetz gehalten. Im Falle des NSU-Komplexes hat der Dienst selbst den Terror erst ermöglicht. Sie wissen, was Sie heute beschließen. Sie schaffen das Fernmeldegeheimnis in Artikel 10 des Grundgesetzes faktisch ab.

(Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das kann man nicht abschaffen!)

Sie täuschen wissentlich die Öffentlichkeit, so wie der BND jahrelang wissentlich das Parlament getäuscht hat.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:
Frau Kollegin Renner, denken Sie an die Redezeit?
Martina Renner (DIE LINKE):

Nur noch zwei Sätze, dann bin ich fertig. - Sie nennen es Reform, wir nennen es die Legalisierung massenhafter Grundrechtsverletzungen. Sie machen das Parlament zum Erfüllungsgehilfen der Geheimdienste. Das halte ich einer Demokratie und eines Rechtstaats für unwürdig. Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Eva Högl (SPD): Meine Güte!)

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