Antifaschismus

Der Verfassungsschutz unterstützt rechte Strukturen

Martina Renner
Geheimdienste/BürgerrechteNeuNSU/Antifaschismus

Martina Renners Rede auf der Demonstration in Saarbrücken am 30.04.2022 zum Mord an Samuel Yeboah

Am 19. September 1991 brannte eine Asylbewerberunterkunft in Saarlouis-Fraulautern. Samuel Yeboah war einer der Menschen, die sich zum Anschlagszeitpunkt im Gebäude aufhielten. Er versuchte noch durch das Treppenhaus zu fliehen, erlitt hierbei jedoch schwerste Verbrennungen, an denen er kurze Zeit später im Krankenhaus im Alter von 27 Jahren starb.

Nach 31 Jahren wurde nun der bekannte Neonazi Peter S. als Tatverdächtiger festgenommen.

Die Stadt Saarlouis war überregional für ihre gewalttätige Neonaziszene bekannt. Doch der rechte Terror zieht sich in den 90ern durch die ganze BRD. Hoyerswerda oder Rostock-Lichtenhagen können hier nur stellvertretend genannt werden. Es wäre auch falsch zu behaupten, dass rechter Terror mit der Selbstenttarnung des NSU ein Ende genommen hat. Auch hier können nur stellvertretend Beispiele – wie Hanau oder Halle – genannt werden.

Was viele rechte Terroranschläge vereint, ist die allzu häufige Einzeltäterthese, die die Realität in den allermeisten Fällen verkennt. Es ist unbedingt erforderlich, dass die Behörden in den weiteren Ermittlungen zum Fall Yeboah nicht etwa der Einzeltäterthese folgen, sondern anerkennen, dass der Mord an Samuel Yeboah nicht im luftleeren Raum stattfand. Er war eingebettet in ein Klima rassistischer Hetze und in ein Netzwerk von Neonazis.

Dies lässt sich nicht zuletzt daran festmachen, dass der Brandanschlag vom 19. September nicht etwa ein Einzelfall war. Er war vielmehr der Auftakt zu einer ganzen Serie: allein 24 Brand- und Bombenanschläge sowie eine Vielzahl von Überfällen und anderen Gewalttaten gegenüber Antifaschist*innen, Wohnungslosen und Menschen, die rassistisch markiert wurden, werden in der Chronik rechter Gewalttaten von der Antifa Saar aufgeführt.

Trotz dieses Ausmaßes sprach die Lokalpolitik damals verharmlosend von randalierenden Jugendlichen –die Existenz einer organisierten rechtsradikalen Szene wurde geleugnet. Dies ist sicher einer der Gründe dafür, warum es mehrere Jahrzehnte gebraucht hat, bis Peter S. als Tatverdächtiger festgenommen wurde. Und es ist sicher ebenso ein Grund dafür, warum so viele weitere Anschläge nach wie vor ungeklärt sind.

Auch die Rolle des Verfassungsschutzes ist hier nicht außer Acht zu lassen. Die Antifa Saar vermutet schon seit Langem, dass es bei führenden Mitgliedern der Saarlouiser Neonaziszene Kontakte zu Polizeiführung und Verfassungsschutz gegeben hat. Die Tatsache, dass neben dem Landespolizeipräsidium auch der saarländische Verfassungsschutz eine interne Aufarbeitungsgruppe eingerichtet hat, unterstreicht diese Vermutung.

Einmal mehr wird deutlich, dass der Verfassungsschutz als Geheimdienst abgeschafft werden muss! Er schützt nicht vor rechten Strukturen, sondern unterstützt diese vielmehr durch die V-Mann-Praxis. Alle ungeklärten Anschläge müssen daher einer unabhängigen Überprüfung unter zivilgesellschaftlicher Beteiligung unterzogen werden! Alle Ermittlungsakten müssen gesichert und öffentlich zugänglich gemacht werden! Nur so ist eine gründliche und transparente Aufklärung überhaupt erst möglich.

In der weiteren Aufklärung müssen zudem die Verbindungen der saarländischen Neonaziszene zum NSU untersucht werden. So marschierte etwa Peter S. im August 1996 auf einem Rudolf Heß-Aufmarsch in Worms Seite an Seite mit Beate Zschäpe und Uwe Mundlos und wurde später sogar mit ihnen in Gewahrsam genommen.

Darüber hinaus befanden sich laut einer Kleinen Anfrage von Dennis Lander (Die LINKE) auf den NSU-Feindeslisten Daten von 86 saarländischen Anschlagszielen. Jegliche weiteren Ermittlungen und Aufklärungsprozesse müssen deshalb unter Rückschluss auf die gesamte bundesweite Szene passieren.

Auch nach der Festnahme des mutmaßlichen Mörders bleiben viele Fragen ungeklärt:

Inwieweit waren polizeiliche Stellen oder sonstige Behörden an dem Versagen der Ermittlungsarbeit beteiligt? War der Beschuldigte vielleicht sogar selbst für die Behörden tätig? Wer hat bei der Tat unterstützt?

Antifaschistische Gruppen und die Zivilgesellschaft fordern seit Jahren eine gründliche Aufklärung – und diese ist mit der Festnahme von Peter S. als Verdächtiger nicht abgeschlossen. Auch die Politik ist hier gefragt: ein Untersuchungsausschuss muss eingesetzt werden. Dieser darf sich jedoch nicht nur auf den rassistischen Mord an Samuel Yeboah beschäftigen. Die rechte Szene hat schon immer als Netzwerk agiert – Thema müssen daher auch alle anderen mutmaßlich von Neonazis begangenen Anschläge im Saarland sein!

(es gilt das gesprochene Wort)