Die «Reichsbürger-Razzia»: Rechter Terror aus der Mitte der Gesellschaft

Die "Reichsbürger-Razzia"

Quelle: Rosa Luxemburg Stiftung
Geheimdienste/BürgerrechteNeuNSU/AntifaschismusRechts

Martina Renner im Gespräch über die Razzien gegen das rechte Terrornetzwerk am 7.12.2022, ihre Einschätzungen und Folgerungen sowie die Ideologie des enttarnten rechten Netzwerks und Verbindungen zu Sicherheitskräften und Politik.

Wie ist das rechte Netzwerk, gegen das jetzt der Generalbundesanwalt ermittelt, zusammengesetzt?

Ich beschäftige mich sehr lange schon mit diesem Rechtsterror nach 2015 und mit den Leuten, die sich auf einen Tag X vorbereiten, auf einen Tag des rechten Umsturzes. Bei dieser Gruppierung ist die hohe Anzahl der Beschuldigten und ihrer Unterstützer*innen besonders erschreckend. Wir reden von einem Kreis von fast hundert Rechten, darunter auch Angehörige der Kommando Spezialkräfte, ehemalige und aktive Polizisten, eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und legale Waffenbesitzer. Viele darunter haben einen professionellen, militärischen Hintergrund. Und wenn die sich aufmachen, zum Beispiel den Reichstag zu stürmen, Politiker als Geiseln zu nehmen oder Sabotage zu üben, dann ist das eine Gefahr.

Diese «Patriotische Union» wird ja in der Öffentlichkeit als Reichsbürger-Gruppe bezeichnet. Ich bin mir nicht sicher, ob das auf alle Beschuldigten zutrifft, aber sie verfolgen eine gemeinsame Ideologie, die davon ausgeht, dass der gegenwärtige Staat seine Existenzberechtigung verloren hat, dass dieser Staat vermeintlich gegen die Bürger*innen dieses Landes arbeitet. Daraus leiten sie ein Widerstandsrecht ab. Aber auch das vermeintliche Recht, Terror anzuwenden, um das Parlament und die staatlichen Institutionen zu beseitigen und anschließend eine autoritäre Regierung zu installieren. Und das macht schon deutlich:

Es ist im Kern eine revisionistische, antidemokratische, völkische Ideologie, die diese Menschen umtreibt.

Deswegen finde ich es besonders schlimm, dass diese Umtriebe von den Sicherheitsbehörden oftmals verharmlost und entpolitisiert werden. Man spricht dann zum Beispiel von einem sogenannten «Phänomen-Bereich nicht zuzuordnen». Es wird nicht offen gesagt, auch nicht vom Generalbundesanwalt, dass dies eine rechte Struktur ist. Aber diese politische Einordnung ist notwendig, wenn wir auch gesellschaftlich dagegen arbeiten wollen.

Wie erklärst du die Verankerung rechter Ideologien in einigen Sicherheitsbehörden – insbesondere im KSK?

Was die Beteiligung von Polizisten und Soldaten angeht, so muss man genauer hinschauen. Fast alle stammen aus Spezialeinheiten, also aus Einheiten mit einem übersteigerten Elitedenken, mit einem ganz autoritären Selbstbild, aber auch oftmals mit der Vorstellung, dass sie sich opfern für Andere. Das ist beim KSK und bei Fallschirmjägern ganz konstitutiv. Aus dieser elitären, autoritären Überzeugung entstehen natürlich Schnittmengen mit extrem rechten Ideologien.

Und dann gibt es dazu noch die Traditionsgeschichte: Das KSK ist gegründet worden aus dem Fallschirmjäger-Bataillon 251. Der ehemalige Kommandant ist unter den Verhafteten und dieses Bataillon war schon bekannt für seine offene NS-Traditionspflege. Die ganze Geschichte des Kommando Spezialkräfte ist auf das Engste verwoben mit dieser Ideologie und Praxis.

Aber wir haben es ja nicht nur mit Polizisten und aktiven beziehungsweise ehemaligen Soldaten zu tun. Verhaftet wurde auch eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete, die zudem Richterin am Landgericht hier in Berlin ist. Die Berliner Justizsenatorin Lena Kreck hatte ja bereits versucht, sie des Amtes zu entheben und ist damit gescheitert. Wie wichtig und richtig dieses Anliegen war, zeigt sich jetzt. Es macht die allgemeine Frage auf: Was tun wir eigentlich gegen extrem Rechte im öffentlichen Dienst?

Dazu ist bisher die Bundesregierung eine Antwort schuldig geblieben. Ich sage, man muss das Disziplinarrecht sehr konsequent durchsetzen und vielleicht müssen wir es auch tatsächlich noch mal modifizieren, damit solche Personen eindeutiger und schneller entsprechend aus ihrem Amt versetzt werden können. In einigen Fällen bin ich auch dafür zu sagen: Die müssen ohne Bezüge nach Hause geschickt werden. Ich glaube gerade diese Terror-Gruppierung macht noch mal deutlich: Sie ist nicht losgelöst von der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zu sehen.

Was sagt die Existenz einer solchen Terrorzelle über den Zustand unserer Gesellschaft aus?

Wir beobachten europaweit einen Vormarsch der autoritären Rechten und ihrer Ideologien. Wir sehen ein aggressives, auch gewalttätiges Vorgehen gegen Minderheiten, gegen die Demokratie und insbesondere auch gegen Linke. Diese Gruppierung passt da exakt hinein. Sie speist sich aus dem sogenannten «Querdenker»-Milieu, sie speist sich aus bekannten extrem rechten Gruppierungen, kommt aber auch aus einem Bereich, den ich klassisch als «bürgerliche Mitte» bezeichnen würde. Das heißt: Wir haben es mit einem rechten Terror zu tun, der aus der Mitte der Gesellschaft kommt.

Eine Mitte, in der diese antidemokratische, völkische Ideologie gerade auch in den letzten Jahren durch rassistische Mobilisierungen und Protest der Corona-Leugner*innen immer fester Fuß gefasst hat.

Was können wir als gesellschaftliche Linke tun?

Zum einen müssen wir analysieren. Die antifaschistischen Recherche-Gruppen müssen gestärkt werden; sie haben auf Personen und Strukturen der «Tag-X-Rechten» und deren Vorhaben bereits hingewiesen, lange bevor staatliche Behörden überhaupt darüber nachdenken wollten.

Und wir müssen uns auf der Straße engagieren. All denen ist zu danken, die aktiv mobilisiert haben gegen die «Corona-Proteste», und immer wieder deutlich gemacht haben, welche wichtige Rolle hier gerade die Ideologie des Antisemitismus oder das antidemokratische Moment spielen. Diese diffuse Szene ist ein Quell für die extreme Rechte.

Wir müssen entschieden gesellschaftliche und parlamentarische Mehrheiten organisieren, damit es keinen Schulterschluss gibt von AfD und CDU. Gerade finden sie sich zum Beispiel zusammen an dem Punkt: Gemeinsam gegen Demokratie-Projekte. Aber ich habe große Sorge, dass der Drift der CDU nach rechts unter dem Vorsitzenden Merz weiter fortgesetzt wird und wir gegebenenfalls hier auch in eine Situation kommen, die wir in vielen anderen europäischen Ländern schon bedauerlicherweise vorfinden.

Schließlich müssen wir auch deutlich klar machen: Die vorhandenen Beratungsstrukturen wie Opferberatungen und Ähnliches dürfen nicht zur Disposition gestellt werden. Schauen wir kurz nach Thüringen: Dort versucht gerade die CDU in den Haushaltsberatungen im Schulterschluss mit der AfD diese wichtigen zivilgesellschaftlichen Institutionen im Kampf gegen Rechts zu schleifen. Unser Augenmerk als Linke muss darauf liegen, diese Arbeit zu stärken sowie gesellschaftlich und parlamentarisch andere Mehrheiten zu organisieren.

Was forderst du als Sprecherin für Antifaschistische Politik der Linksfraktion im Bundestag?

Ich glaube, wir müssen auf diese neue Art des Rechtsterrors drei Antworten geben:

Konsequente Entwaffnung der gesamten extremen Rechten

Legale Waffenbesitzer müssen die Erlaubnis verlieren, die Waffen müssen einkassiert werden und illegale Waffen müssen gefunden werden.

Rechte Strukturen in den Sicherheitsbehörden zerschlagen

Wir müssen endlich über rechte Strukturen in Polizei und Bundeswehr reden, und auch etwas dagegen tun. Wir dürfen nicht mehr nur über Einzelfälle sprechen. Ich bin mittlerweile soweit, dass ich sage: Das Kommando Spezialkräfte als Brutstätte der extrem Rechten in der Bundeswehr muss aufgelöst werden.

AfD isolieren

Wir müssen eine Diskussion anstoßen darüber, dass die AfD nicht nur rhetorisch, sondern auch praktisch der parlamentarische Arm des Rechtsterrors ist. Und daraus müssen auch politische Folgen erwachsen.

Zeigt die Razzia vom 7.12., dass das Problem Rechtsterrorismus endlich erkannt wurde?

Ich werde oft gefragt, ob diese Razzia ein Erfolg ist und ich antworte immer: Wenn es zu einer Anklage kommt, wenn es zu einer Verurteilung kommt, wenn diese Strukturen wirklich entwaffnet und zerschlagen werden, dann sage ich: Ja, das war ein wichtiges Zeichen, eine wichtige Aktion. Und der Generalbundesanwalt oder wer auch immer da federführend war, muss dafür gelobt werden. Aber so weit sind wir noch nicht.

[es gilt das gesprochene Wort]