Wir brauchen einen Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre, um für die Zukunft Konsequenzen zu ziehen
„Die Freiheitsrechte sind elementare Rechte, und sie müssen im Internetzeitalter eher mehr als weniger verteidigt werden“, erklärt Martina Renner in ihrer Rede im Bundestag zur Einsetzung eines NSA-Untersuchungsausschusses.
Rede von Martina Renner im Bundestag zur Einsetzung eines NSA-Untersuchungsausschusses: Wir brauchen einen Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre, um für die Zukunft Konsequenzen zu ziehen.
„Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie uns endlich beginnen: mit der parlamentarischen Aufklärung zu einem der größten – wenn nicht gar dem größten – Geheimdienstskandal in der Geschichte der Bundesrepublik.
Frau Dr. Eva Högl, ich würde Sie gern persönlich ansprechen. Sie wissen, wie sehr ich Sie für Ihre Arbeit im NSU-Untersuchungsausschuss schätze. Aber die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum NSA-Skandal jetzt mit Scheinargumenten zu verhindern, schadet doch dem überwiegend gemeinsam formulierten Aufklärungswillen, wie er auch von Ihrer Fraktion in den letzten Monaten immer wieder vorgetragen wurde. Ich kann auch nicht das Argument des Kollegen Thomas Silberhorn nachvollziehen, dass unser Antrag nicht präzise sei. Er ist präzise formuliert. Ich denke, dieses Vorgehen soll der ganzen Aufklärungsdebatte ein Stück weit den Schwung nehmen. Das dürfen wir an keiner Stelle zulassen. Denn, wie der Kollege Ströbele zu Recht schon gesagt hat, die Bespitzelung geht weiter, und deswegen muss der Ausschuss endlich zum Arbeiten kommen.
Was ist denn zu untersuchen? Die Überwachung von Internet, Mails und Telekommunikation durch US-amerikanische und britische Dienste war und ist möglicherweise so umfassend, dass von einem Generalangriff auf die Rechte der Bürgerinnen und Bürger, der Unternehmen und des Staates gesprochen werden muss. Ich finde, die Bundesregierungen haben diese Rechte deutschen und ausländischen Geheimdiensten zur Verfügung gestellt – durch Worte, durch Taten und durch Unterlassungen.
Wir brauchen einen Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre nicht allein zur Aufklärung des Ausmaßes der Überwachung und all dessen, worauf uns Edward Snowden in seinem mutigen und couragierten Einsatz aufmerksam gemacht hat. Wir brauchen einen Untersuchungsausschuss auch, um für die Zukunft Konsequenzen zu ziehen und die drängende Frage zu beantworten, wie Bürgerinnen und Bürger, wie Unternehmen, wie Behörden, wie Regierungen, aber wie auch die Kanzlerin vor Überwachung und Ausforschung geschützt werden können.
Für meine Fraktion gibt es drei zentrale Aspekte, die geklärt werden müssen:
Erstens. Wie und in welchem Umfang haben ausländische Geheimdienste – dabei bleiben wir: ausländische Geheimdienste – private, unternehmerische und behördliche Kommunikation seit 2001 überwacht, gespeichert und verarbeitet?
Zweitens – auch das ist wichtig –: Inwieweit waren deutsche Behörden und Geheimdienste durch Abkommen, Techniktransfer, aber auch Datenaustausch an der Überwachung beteiligt, haben davon gewusst oder möglicherweise sogar profitiert? Ein Untersuchungsausschuss muss auch die Frage klären, inwieweit eine Art Kollaboration der Geheimdienste diesseits und jenseits rechtlicher und internationaler Bindungen stattgefunden hat.
Drittens. Beantwortet werden muss auch die Frage, wie wir als Parlament die zunehmende Privatisierung sicherheitssensibler Infrastrukturen bewerten, insbesondere im Bereich der Geheimdienste, und welche Konsequenzen für effektiven Grundrechtsschutz daraus gezogen werden müssen.
Dabei geht es uns als Linken nicht darum – das wollen wir deutlich sagen –, zurückzuspitzeln und eine Art -gigantische Aufrüstungsschlacht der Geheimdienste zu befördern. Es muss darum gehen, sich gemeinsam auch mit den anderen europäischen Ländern zu verständigen, wie wir die Unkultur des anlasslosen Generalverdachts gegen die Bürger und Bürgerinnen beenden und die Ausforschung von Unternehmen und Behörden stoppen oder wenigstens wirksam erschweren.
Deshalb bleibt es für uns auch so wichtig, zu untersuchen, wie die Bundesregierung und die bundesdeutschen Behörden seit den ersten Enthüllungen durch Edward Snowden zur Bespitzelungspraxis reagiert haben. Nur zur Erinnerung – Herr Ströbele hat das auch schon reflektiert –: Die Bundesregierung fiel zuerst auf durch wenig Eigeninitiative zur Aufklärung, leere Versprechungen, fast schon naiv anmutende Vertrauensbekundungen zu den Verbündeten und ein Stück weit auch technische Ahnungslosigkeit.
Und genau hier – bei der Frage der Regierungsreaktionen auf die Snowden-Enthüllungen – gibt es einen -zentralen Unterschied zwischen unserem gemeinsamen Antrag und dem Antrag der Fraktionen der Großen -Koalition: Wir bestehen darauf, dass Edward Snowden als sachverständiger Zeuge geladen wird und dafür seine Sicherheit und sein Schutz gewährleistet werden.
Wir sagen: Es muss jetzt schnell zu einer Einigung auf Grundlage eines weit gefassten und dennoch zielgerichtet und exakt formulierten Untersuchungsauftrags kommen, der auch die Rechte der Opposition wahrt. Wir werden einer weiteren Verzögerung nicht mehr zustimmen können. Wenn es zu diesem Vorgehen kommt, wenn beide Entwürfe nun in den zuständigen Ausschuss des Bundestages gehen, kann es für uns eigentlich nur einen Weg geben: Die Regierungsfraktionen benennen die zwei, drei, vier für sie unerlässlichen Punkte oder die zu überarbeitende Formulierung, wir prüfen gemeinsam, ob diese übernommen werden können, und dann gibt es auf Grundlage unserer Vorlage einen gemeinsamen Antrag.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, als Linke haben wir auch aufgrund der Auseinandersetzung mit unserer eigenen Geschichte eine klare Haltung zu Geheimdiensten. Sie sind nicht zu bändigen und einer Demokratie -abträglich. Wir sagen klar: Wir wollen keine Abhörzentralen, nicht von Freunden, nicht von Konkurrenten, nicht von unseren eigenen Geheimdiensten. Die Freiheitsrechte sind elementare Rechte, und sie müssen im Internetzeitalter eher mehr als weniger verteidigt werden. Das ist eine große Aufgabe für den Untersuchungsausschuss und eine Herausforderung für alle, die sich der Aufgabe stellen werden – im Interesse der Bürger- und der Grundrechte.“
Video der Rede