Als überzeugte Internationalistin kann Rosa Luxemburg heute Vorbild sein

Martina Renner

Liebe Genossinnen und Genossen, Liebe Freundinnen und Freunde

Ich freue mich, heute ein paar Worte zu Gedenken an Rosa Luxemburg sagen zu dürfen. Linkes Gedenken bedeutet stets, Bezüge zur Gegenwart herzustellen, Vergangenes zu aktualisieren und der herrschenden Geschichtsschreibung streitig zu machen, die allzu oft erinnert, um zu vergessen.

Was macht Rosa Luxemburg heute aktuell?

Als überzeugte Internationalistin kann sie heute Vorbild sein. Dabei halte ich es für entscheidend zu betonen, dass linker Internationalismus etwas anderes ist als die internationalen Beziehungen zwischen Staaten und die damit zusammenhängenden kulturellen Beziehungen der Bevölkerungen. Linker Internationalismus ist nicht zuletzt das Beharren darauf, dass eine Krankenschwester aus Riesa mehr gemeinsam hat mit einem Busfahrer aus Lublin als mit dem Vorstandsvorsitzenden von Siemens. Dass uns oft das Gegenteil weisgemacht werden soll, ist Nationalismus im Dienst der herrschenden Klasse und ihrer Interessen. Rosa Luxemburg ist mehr als der abgedroschene Kalenderspruch von der Freiheit der Andersdenkenden, aber es ist kein Zufall, wenn ihr theoretisches Erbe auf diese liberale Binsenweisheit reduziert wird. Das macht sie bequem, leicht zu konsumieren und zu vereinnahmen. Auch dagegen muss sich die linke Erinnerung an Luxemburg wenden. Sie sollte gerade die radikalen, widersprüchlichen und unbequemen Aspekte hervorkehren.

In diesem Sinne sollten wir das Andenken an Luxemburg mit linker Politik heute verbinden. Zum Beispiel, wenn wir dem herrschenden Nationalismus mit sozialistischem Internationalismus begegnen, zum Beispiel, wenn wir hinter der Friedensrhetorik der Bundesregierung die kapitalistischen Interessen aufzeigen und zum Beispiel, indem wir den Klassencharakter gesellschaftlicher Auseinandersetzungen betonen. So ist der Kampf gegen den Klimawandel keine Frage des individuellen Konsums oder Verzichts. Schon gar nicht sollten wir darauf hereinfallen, diejenigen öffentlich zu beschämen, denen Zugang, Wissen und Mittel für ausgewogenen, nachhaltigen Konsum fehlen. Stattdessen sollten wir Regierungen und Konzerne zur Verantwortung ziehen und deutlich machen, auf wessen Rücken der weltweite Klimawandel stattfindet; wer zahlt die Kosten und wer zahlt die Kosten für mögliche Lösungen?

Die Erinnerung an Rosa Luxemburg ist auch eine Warnung. Das Schicksal Luxemburgs zeigt zwar, wie überdauernd die Revolution ist, es zeigt aber auch, wie verletzlich die Revolutionärinnen sind. Luxemburg wurde von rechten Militärs ermordet. Auf die heutige Situation übertragen könnte man sagen: Ihre Mörder waren Soldaten, die Feindeslisten führten und den Tag X für gekommen hielten, an dem sie zur Tat schreiten mussten, um Deutschland vor dem Sozialismus zu bewahren. Natürlich haben wir heute eine andere gesellschaftliche Situation als zur Zeit Luxemburgs. Und doch: Auch heute erleben wir nahezu im Wochentakt, wie neue Enthüllungen über rechtsterroristische Netzwerke, insbesondere Netzwerke in Behörden, bekannt werden. Dabei haben wir es ziemlich sicher nicht mit einer schwarzen Reichswehr zu tun oder einem tiefen Staat. Ich gehe nicht von einer geheimen aber gut organisierten Macht aus, die alle diese Netzwerke koordiniert. Ich glaube aber auch die Mär der Einzeltäter nicht. Vielmehr gehe ich erstens davon aus, dass alle Täter Netzwerke haben und dass zweitens das Problem wesentlich mit einer mangelhaften Verankerung demokratischer Kultur und einer überaus problematischen Betriebskultur in den Apparaten zu tun hat. Die rechten Netzwerke sind Ausdruck eines gesellschaftlichen Rechtsrucks. Diesen Rechtsruck können wir in den Parlamenten sehen, wir können ihn in den Talkshows sehen und wir sehen ihn eben auch in Polizei und Bundeswehr. Rechte Erzählungen wie die Mär, dass Merkel 2015 die Grenzen für unkontrollierte Einwanderung geöffnet habe, halten sich beständig und spielen eine wichtige Rolle in der Rekrutierung von rechten Mitstreitern ebenso wie in der Abwendung von demokratisch-rechtsstaatlichen Prinzipien und der Hinwendung zu Lynchjustiz und Gewalt. Auch das ist nicht neu. Hatte nicht die Dolchstoßlegende, der zufolge die Sozialisten und Sozialdemokraten für die Niederlage Deutschlands verantwortlich waren, eine ähnliche Funktion und haben nicht beide Erzählungen Menschen dazu bewegen können, Morde zu begehen?

Diese Warnung müssen wir ernst nehmen. Das bedeutet, wir dürfen den Rechtsruck nicht unterschätzen und nicht die mörderische Energie, die ihm innewohnt.

Wir können ihm Einhalt gebieten, wenn wir zweierlei beherzigen:

Erstens brauchen wir eine neue gesellschaftliche Kultur des Antifaschismus. Antifaschistinnen und Antifaschisten, die sich Neonazis entgegenstellen, müssen wir den Rücken stärken, wenn sie kriminalisiert und diffamiert werden. Rechten und rassistischen Positionen müssen wir immer und überall deutlich widersprechen. Mehr noch: Wir müssen dafür sorgen, dass Rassismus und Antisemitismus gesellschaftlich geächtet werden. Im Betrieb, in der Schule, der Uni oder im Sportverein. Es darf keinen Platz für rechte Hetzer geben.

Zweitens können wir den Rechtsruck nur durch eine linke Offensive zurückdrängen. Und auch hier können wir von Luxemburg lernen. Sie verband die Perspektive auf eine grundsätzlich andere, nicht-kapitalistische Gesellschaft mit den konkreten Auseinandersetzungen. Diese revolutionäre Realpolitik könnte auch heute eine Richtlinie sein, an der wir LINKE Politik orientieren können. Es geht darum, Politik so zu machen, dass sie relevant für den Alltag der Menschen ist. Das bedeutet oft, kleinteilige, mühsame Arbeit für schrittweise und von Kompromissen gezeichnete Erfolge. Diese kleinen Schritte müssen mit einer grundsätzlichen Perspektive verbunden werden. So entsteht ein Möglichkeitshorizont, der organisierend und motivierend in unsere Gegenwart wirkt.

Vielen Dank.