Der Geschichtsrevisionismus wird nicht bei der Verklärung der Kolonialverbrechen enden!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen,
Geschichtsrevisionismus gehörte schon immer zu den Kernkompetenzen der Extremen Rechten: Ob Kriegsschuld, Ostgebiete oder eben geraubte Kunst. Für letzteres gibt es das Wort: Kolonialrevisionismus.
Ihr Ziel: alle geraubten Kunst- und Kulturschätze sollen in Deutschland bleiben und nebenbei soll auch noch das deutsche Kaiserreich, ihr völkischer Ersatzerinnerungsort - von dem anderen reden sie nur in ihren Chats - von den störenden kolonialen Verbrechen befreit werden. Die Benin-Bronzen versinnbildlichen, um was es den Europäer*innen in den Kolonien ging:
Gold, Reichtum, Macht. Jürgen Zimmerer hat es im „Freitag“ auf den Punkt gebracht: „Sie stehen für die Schamlosigkeit, mit der sich die Räuber als Retter des Raubguts inszenierten und ihre Trophäen des Unrechts stolz ausstellten, garniert mit einer Erzählung von künstlerischer Wertschätzung, welche die Plünderer und Vergewaltiger ehrte und die Beraubten noch in der Erinnerung rassistisch herabstufte.“
Nachdem ihnen nicht gelungen war, die Rückgabe an die Herkunftsländer zu stoppen, wärmen sie jetzt genau diese Inszenierung auf. Das ist so durchschaubar wie reaktionär und ekelhaft.
Deshalb ist hier noch einmal unmissverständlich festzuhalten: Die Rückgabe der Benin-Bronzen ist richtig und wichtig! Restitution ist weit mehr als die materielle und rechtlich verbriefte Rückgabe von Raubkunst. Es geht um die Anerkennung von begangenem Unrecht. Kolonialismus ist ein verbrecherisches Herrschaftssystem. Die Forderung reaktionärer Kräfte, den Kolonialismus „differenziert zu betrachten“, ist nichts anderes als der Versuch die Verbrechen zu relativieren. Hierher gehört auch der vermeintliche „Skandal“ oder das „Fiasko“ um die im Dezember zurückgegebenen Bronzen, die Präsident Buhari nicht einem Museum, sondern dem heutigen Oberhaupt der ehemaligen Königsfamilie, Oba Ewuare II, übergab.
Denn worum geht es bei der aktuellen Debatte? Die Benin-Bronzen sind eine Gruppe von mehreren tausend Kunstwerken, die seit dem 16. Jahrhundert den Palast des Königreichs Benin schmückten und zeremonielle Bedeutung hatten. 1897 fielen etwa 1.200 britische Soldaten mordend und plündernd in Benin-Stadt ein und raubten tausende Artefakte aus dem Königspalast. Die Benin-Bronzen wurden als Beutekunst nach Europa und in die USA verkauft.
Leider ist die Debatte nicht nur weitgehend verlogen, sondern auch rassistisch. Dass die zurückgegebenen Benin-Bronzen in Zukunft in Privaträumen verschwinden, beruht auf Spekulationen. Ein Präsidialerlass legt fest, dass die Objekte unversehrt bleiben und auch öffentlich gezeigt werden sollen. Dass nun Stimmen aus Deutschland meinen, sich in den Verbleib der Objekte einmischen zu müssen, kann nur als "neokolonial“ bezeichnet werden.
So konsequent wir die Rückgabe finden, verschließen wir nicht die Ohren vor Wortmeldungen aus Zivilgesellschaft und Forschung. Ein Manko bei der Restitutionsentscheidung war sicherlich, dass der Komplex Kolonialismus in der Auseinandersetzung auf museale Objekte reduziert wurde und bisher keine grundsätzliche breite gesellschaftliche Debatte über Kolonialismus, Raub, kolonialen Genozid, Nutznießer des transatlantischen Sklavenhandels und Wiedergutmachung geführt wurde.
Die aktuelle Debatte um die Benin-Bronzen zeigt, dass wir noch einen weiten Weg der Dekolonisierung vor uns haben. Fragen der Restitution sind nicht allein auf der Ebene staatlicher Diplomatie zu lösen, sondern brauchen die Stimmen internationaler zivilgesellschaftlicher Akteur*innen.
[Es gilt das gesprochene Wort]