"Der Vertrag steht im Kontext von Grenzregime und Abschottung."

Martina Renner

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

sehr geehrte Damen und Herren der demokratischen Fraktionen,

mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll ein erstes Kapitel des Deutsch-Schweizerischen Polizeivertrages in Kraft gesetzt werden. Behandelt wird die Zusammenarbeit der deutschen und schweizerischen Behörden bei Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften des Straßenverkehrs. Darin wird insbesondere die gegenseitige Gewährung von Vollstreckungshilfe zur Durchsetzung von verhängten Geldsanktionen wegen Verstößen gegen Ordnungsvorschriften des Straßenverkehrs vereinbart.

Die internationale, grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizeibehörden beginnt dort, wo es wirklich wichtig wird. Bei Knöllchen und Bußgeldern für zu schnelles Fahren. Grundsätzlich ist eine internationale Zusammenarbeit sinnvoll.  Einzelne Elemente sind aus unserer Sicht mindestens schwierig. Denn es werden auch Eingriffsbefugnisse der Polizei geregelt. Dies beginnt bereits mit der Festlegung was als „Grenzgebiet“ Deutschlands, in dem das Abkommen Anwendung finden soll, gelten soll. Das sogenannte Grenzgebiet zur Schweiz sind die kompletten Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern, also sehr große Flächen, in denen über ein Viertel der deutschen Bevölkerung lebt.

Der gegenseitige Zugriff auf Fahrzeugregisterdaten wird u.a. auf die Generalklausel der polizeilichen Gefahrenabwehr gestützt, was jedenfalls an sich und mit Blick auf die teils sehr detailreichen Regelungen an anderer Stelle mindestens fragwürdig erscheint. Polizeiliche Observationen haben sich zwar nach dem nationalen Recht des Vertragsstaates zu richten, in dem sie stattfinden. Ob die rechtsstaatlichen Schutzmechanismen hier mit einer Prüfung durch die Staatsanwaltschaft allein ausreichend eingehalten sind, muss mit Skepsis betrachtet werden. Die „Nacheile“ durch Polizeibeamte über die Grenze bezieht sich auf Straftaten, für die es einen Auslieferungstatbestand gibt. In solchen Fällen können die Beamten die Verfolgung eines Täters über die Grenze fortsetzen. Dies gilt jedoch nicht nur für (schwere) Straftaten, sondern auch schon dann, wenn eine Person sich innerhalb eines 80-kmStreifens einer polizeilichen Personalienfeststellung entzieht. Damit steht der Vertrag auch im Kontext von Grenzregime und Abschottung.

Bereits auf Basis des Verwaltungsabkommens zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik steigen Bundespolizeibeamte in der Schweiz in den Zügen zu und führen dort Kontrollen durch. Personen ohne Einreiseerlaubnis können so noch vor dem Grenzübertritt identifiziert und zurückgewiesen werden. Der Vertrag nennt „illegale Migration“ prominent als „Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ in seinen Regelungen zu „weiteren Formen der Zusammenarbeit“ (§ 32). Im Falle der Wiedereinführung von stationären Grenzkontrollen können die Vertragsstaaten auf dem Territorium des anderen Vertragsstaates Grenzkontrollstellen errichten und dort nach eigenem nationalem Recht tätig werden. Es ist vollkommen klar, dass diese Regelung nur eine Richtung kennen wird: das Tätigwerden deutscher Grenzpolizeibeamter auf Schweizer Seite.

Damit wird es für die Betroffenen schwierig, effektiven Rechtsschutz zu erreichen, weil ihnen verwaltungsgerichtliche Zuständigkeiten unklar oder unbekannt sind. Bedrohlicher für den Sozialstaat im Bereich der grenzüberschreitenden Kriminalität ist ohnehin nicht die Migration, sondern das Verschieben von Gewinnen und Vermögen aus Deutschland in den Schutz des Schweizer Bankgeheimnisses. Das ist aber nicht Gegenstand des ersten Teils der Vertragsumsetzung.

Abschließend noch zwei Zahlen, weil es ja um Verkehrsdelikte und Knöllchen geht, die grenzüberschreitend vollstreckt werden sollen. In Deutschland gab es 2022 insgesamt mehr als 4 Millionen registrierte Verkehrsverstöße. In der Schweiz wurden 2022 rund 15.000 Nichtschweizer ohne regelmäßigen Aufenthalt wegen eines Verkehrsdeliktes verurteilt, davon 896 Deutsche. Schön, dass hier also wirklich zentralste Probleme geregelt werden sollen.

Vielen Dank!