Gesetz zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses

Martina Renner

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollegen und Kolleginnen!

Noch immer ereignen sich täglich zwei bis drei politisch rechts motivierte oder rassistisch geprägte Gewalttaten in Deutschland. Daran hat sich nach der Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen Untergrunds überhaupt nichts geändert. Im Gegenteil: Wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage meinerseits hervorgeht, haben die Polizeien der Länder seit dem 4. November 2011 über 200 rechte Straf- und Gewalttaten registriert, mit denen die Täter sich explizit und für alle erkennbar offen und positiv auf den NSU beziehen und seine rassistischen Morde und Anschläge verherrlichen.

Einige Beispiele für rassistische Gewalttaten aus den letzten Monaten: Ende September wird ein syrischer Arzt in Lößnig bei Leipzig von einem maskierten Mann mit einem Baseballschläger angegriffen und rassistisch beleidigt. Mitte Juli schlagen und bedrohen in Gardelegen ein Dutzend Neonazis, die T-Shirts mit der Aufschrift „Kameradschaft Kommando Werwolf“ trugen, eine Wirtin, die öffentlich Flüchtlinge unterstützt. Ob die Strafverfolgungsbehörden, die rassistische und politisch rechte Motivation dieser Taten erkennen und vor Gericht angemessen würdigen werden, ist leider vollständig offen. Daran wird auch der vorgelegte Gesetzentwurf überhaupt nichts ändern. Denn die vom Bundesjustizministerium vorgeschlagene Änderung des § 46 StGB ist inhaltlich beliebig und viel zu weit gefasst. Sie verfehlt das Ziel und beschränkt sich auf eine gefährliche Symbolpolitik.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schon nach der jetzigen Fassung von § 46 StGB sind Richter und Staatsanwälte gehalten, die Tatmotivation bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Sie machen dies aber vor allem bei rassistisch motivierten Gewalttaten in der Regel nicht, wie nicht zuletzt die skandalösen Urteile zu rassistischen Angriffen in Pirna und Bernburg eindrücklich gezeigt haben. Richter und Staatsanwälte, die in Fällen von rechter Gewalt keine rassistische Tatmotivation anerkennen, weil der Angriff, wie sie sagen, spontan und unter Alkoholeinfluss erfolgt sei, werden auch in Zukunft am Kern des Problems vorbeigehen: Rassismus ist eine Haltung, die sich in unterschiedlichster Form und bei unterschiedlichen Gelegenheiten gewaltförmig Bahn bricht. Deshalb sagen wir: Dieser Gesetzentwurf ist verfehlt.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Auch der erleichterten Übernahme von Verfahren durch die Generalbundesanwaltschaft stehen wir skeptisch gegenüber. Was nützt diese Maßnahme, wenn zum Beispiel in Fällen von 23 Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte, die in den ersten drei Quartalen dieses Jahres gezählt wurden, die Generalbundesanwaltschaft in keinem einzigen Fall tätig geworden ist, obwohl sie die Übernahme der Ermittlungen geprüft hat? Ich sage dazu: Wir brauchen eine inhaltliche Neujustierung in Bezug darauf, wie Justiz mit rechtsextremer und rassistischer Gewalt umgeht, und keine symbolische Gesetzesänderung.

(Beifall bei der LINKEN)

An anderer Stelle hinkt die Bundesregierung weiter bei der Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses zurück, nämlich bei der Forderung, dass zukünftig bei allen Gewalttaten gegen Migrantinnen und Migranten auch Rassismus als Tatmotiv mitermittelt werden muss. Dafür hat der Untersuchungsausschuss eine Änderung der sogenannten RiStBV vorgeschlagen. Im Sommer sollte hierzu eine Abstimmung in der Justizministerkonferenz stattfinden. Nun ist es Herbst, und diese wirklich dringende Vorgabe lässt immer noch auf sich warten. Wir unterstützen deshalb ausdrücklich den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, der sich dieser Thematik annimmt.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unsere Forderungen nach Umsetzung der gemeinsam beschlossenen Empfehlungen aus den NSU-Untersuchungsausschüssen gehen aber weiter. Die Untersuchungsausschüsse haben deutlich gemacht, dass institutioneller Rassismus die polizeilichen Ermittlungen zur Ceska-Mordserie sowohl im Umgang mit den Angehörigen geprägt als auch bei der Suche nach den Tätern massiv behindert hat. Wir fordern eine umfassende Studie, die nach Rassismus im Polizeiapparat fragt und uns endlich verlässliche Zahlen gibt, damit die Debatte insbesondere bei denen, die dieses Phänomen negieren, auf sachliche Grundlagen gestellt werden kann. Das gleiche gilt übrigens für die längst überfällige Einrichtung von unabhängigen Polizeibeschwerdestellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Noch ein paar Worte zum Bundesprogramm. Auch bei der Umsetzung der dringend empfohlenen Unterstützung der Projekte gegen Rechtsextremismus ist die Koalition, so sagen wir, auf halber Strecke stehen geblieben. Statt die Mittel auf 50 Millionen Euro zu erhöhen, fehlen jetzt immer noch 10 Millionen Euro. Das macht sich vor allem im Westen bemerkbar, wo beispielsweise in Baden-Württemberg, Niedersachsen und Hessen immer noch spezialisierte Opferberatungsstellen fehlen. Auch wenn der Haushaltsausschuss in letzter Minute das Förderprogramm auf 40 Millionen Euro aufgestockt hat, entspricht dies meiner Meinung nach keineswegs den Schlussfolgerungen, die wir aus dem NSU-Komplex ziehen: Mit den Erhöhungen sollen nämlich in Zukunft auch noch Salafismus und Islamismus als Schwerpunkte bearbeitet werden. Ich bin durchaus der Meinung, dass Salafismus und Islamismus ein drängendes Problem sind. Allerdings benötigt die Auseinandersetzung damit ein eigenes differenziertes Programm.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Lehren aus dem NSU-Komplex zu ziehen, bedeutet eine verstärkte gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rassismus auf allen Ebenen, auch in den Institutionen. Ein antiextremistischer Gemischtwarenladen wird diesem Problem keineswegs gerecht werden. Wir hatten versucht, zwei Änderungsanträge in die heutige Debatte einzubringen. Mit dem einen wollten wir die Aufstockung der Mittel für das Bundesprogramm auf 50 Millionen Euro erreichen.

Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Renner, Sie denken an die vereinbarte Redezeit!

Martina Renner (DIE LINKE): Okay.- Mit dem anderen wollten wir uns für ein humanitäres Bleiberecht für die Opfer rassistischer Gewalt engagieren. Beides durfte der Beratung heute nicht beigefügt werden. Wir bedauern das sehr und glauben, dass diese Entscheidung der Sache schadet und allein parteipolitisch motiviert ist. Das tut der Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex nicht gut.

(Beifall bei der LINKEN)