Hätte der Terroranschlag in Berlin verhindert werden können?

Martina Renner

Wir müssen fragen, was die deutschen Behörden schon vor der Tat über die dschihadistischen Netzwerke wussten. Rede von Martina Renner zum Antrag der Linksfraktion auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz.

Sehr geehrte Präsidentin,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

kein Untersuchungsausschuss kann die 12 Toten, die dem dschihadistischen Terroranschlag am Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 zum Opfer gefallen sind, wieder zum Leben erwecken, kein Untersuchungsausschuss kann die Verletzten heilen, den Hinterbliebenen Trost spenden.

Aber der von uns beantragte Untersuchungsausschuss muss die zentrale Frage beantworten, die sowohl die unmittelbar betroffenen Familien als auch die Öffentlichkeit stellen: Hätte dieser dschihadistische Terroranschlag verhindert werden können, wenn Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste im Vorfeld andere Maßnahmen ergriffen hätten?

Man kann und muss es auch noch härter formulieren: Wurde der Anschlag unter Umständen deshalb nicht verhindert, weil sowohl Strafverfolgungsbehörden als auch Geheimdienste ein V-Leute-System in der dschihadistischen Bewegung aufgebaut haben? Ein System, das, wie schon bei der militanten Neonazi-Bewegung, eben weniger ein effektives Frühwarnsystems darstellt, sondern allzu oft einen Brandstifter-Effekt hat?

Ebenso müssen wir der Frage nachgehen, welche Maßnahmen die deutschen Behörden – auch in Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern – nach dem Anschlag gegen das mutmaßliche Unterstützerumfeld des Attentäters ergriffen haben. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu wissen: Wie steht es um die Analysefähigkeit deutscher Behörden in Bezug auf dschihadistische Netzwerke?

Uns bewegt aber auch eine weitere Frage: Ist nach dem Anschlag wirklich alles getan worden, um den Opfern und Hinterbliebenen gerecht zu werden? Hier geht es nicht nur, aber auch, um die materielle Unterstützung. Und darum, ob die derzeitigen gesetzlichen Regelungen zur Opferentschädigung ausreichen.

Deshalb schlagen wir vor, dass die Obleute des Untersuchungsausschusses direkt nach der Konstituierung den Opferbeauftragten, die Hinterbliebenen und Verletzten des Anschlags sowie gegebenenfalls von ihnen benannte Interessensvertreter zum Gespräch einladen.

Wir wollen keinen Untersuchungsausschuss, der auf billige Showeffekte und Instrumentalisierung der Opfer und Hinterbliebenen zielt und eigentlich nur weitere Munition für das Sperrfeuer der Rassisten und organisierten Neonazis gegen eine humanitäre Flüchtlingspolitik sammeln will. Das Problem des dschihadistischen Terrors – so viel können wir schon jetzt sagen – ist kein Problem der Flüchtlingspolitik.

Unser Anliegen als Linke in diesem Untersuchungsausschuss – und das können Sie unserem Untersuchungsauftrag sehr klar entnehmen – ist eine umfassende und effektive Aufklärung von Behördenmaßnahmen. Dazu gehört, dass wir anders als die Union und SPD einen Untersuchungszeitraum wollen, der mit der Einreise des Attentäters in den Schengen-Raum beginnt und nicht mit dessen Tod endet, sondern die Maßnahmen gegen das Unterstützerumfeld nach dessen Tod unbedingt mit prüft.

Schließlich ist dieser Untersuchungsausschuss kein Selbstzweck - Sondern es geht um einen effektiven Schutz aller in Deutschland lebenden Menschen vor diesem Terror und dessen Vorstufen. Dafür müssen wir die Perspektive und die Erfahrungen der Hauptbetroffenengruppen mit einbeziehen: Die jüdischen Gemeinden ebenso wie die Geflüchteten, die in Deutschland Schutz vor diesem Terror suchen.

Ein Anliegen, das hoffentlich alle demokratischen Parteien mit uns teilen.

"Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz"
Antrag der Linksfraktion (Drucksache <media 38539 _blank - "SONSTIGES, 1900418, 1900418.pdf, 0.9 MB">19/418</media>).