Parlamentarische Kontrolle in Zeiten der Großen Koalition

Martina Renner

Auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fand am 29. Juni eine Aktuelle Stunde im Bundestag statt. Thema: Parlamentarische Kontrolle in Zeiten der großen Koalition

Hier die Rede von Martina Renner:

In der gestrigen Debatte zum NSA-Untersuchungsausschuss habe ich Erstaunliches gelernt: Herr Flisek stellte fest, dass es keine illegale Massenüberwachung gibt, Herr Schipanski berichtete stolz, dass jeder Verdacht gegen die Geheimdienste abgeräumt wurde und Herr Sensburg lobte die Einigkeit des Ausschusses. Ich frage mich, liebe Kollegen: In welchem Ausschuss saßen Sie eigentlich die letzten drei Jahre?

Zu den Gespinsten der Herren Flisek und Schipanski habe ich gestern bereits alles gesagt.
Aber wenn der Vorsitzende die Einigkeit besingt, nachdem er drei Jahre lang die Arbeit der Opposition behindert hat, dann ist das absurd.

Sie haben in einem einmaligen Vorgang die Berichterstatter der Opposition abberufen und vor der Presse über die Gründe dreist gelogen.

Dies ist der Höhepunkt einer Kampagne gegen die Kontrollfunktion des Parlamentes, die auf dem Dogma beruht, dass Regierungsinteressen identisch mit dem Staatswohl sind.

In einer Demokratie jedoch übt das Parlament eine Kontrollfunktion gegenüber der Regierung aus.
Wer diese Kontrolle sabotiert, der beraubt nicht nur die Opposition ihrer demokratischen Rechte, er schadet der Demokratie.

Zu den Beispielen:

Auch in dieser Legislatur wurde der NSU-Untersuchungsausschuss massiv in seiner Arbeit behindert.
Der ehemalige BfV-Präsident Fromm verschwieg jahrelang den Tatverdacht gegen einen V-Mann im Zusammenhang mit dem NSU-Anschlag auf ein iranisches Lebensmittelgeschäft. In seiner Befragung wurde offenbar: Solange Parlamentarier nicht anderweitig über die Machenschaften der Dienste informiert werden, erfahren sie aus den Geheimdiensten nichts, egal wie viele Beweisbeschlüsse auch gefasst werden.

Und wenn Verschweigen nicht reicht, dann wird eben das Staatswohl für die Verweigerung von Akten bemüht. So auch im Fall von Ralph H., einem mutmaßlichen Unterstützer des NSU, der Medien zufolge als V-Mann angeworben werden sollte. Die Akten könnten Aufschlussreiches über das Wissen des Verfassungsschutzes zum NSU enthalten. Doch lesen durfte sie der Ausschuss nicht.

Auch im NSA-Ausschuss verweigerte die Bundesregierung Akten mit dem Argument, sie hätten nichts mit dem Thema des Ausschusses zu tun. Dabei weiß sie genau, dass das Verfassungsgericht klar geregelt hat, dass der Ausschuss entscheidet, was zum Thema gehört und was nicht.

Wir haben herausgefunden, dass 2010 ein Deutscher im US-Foltergefängnis Bagram in Afghanistan von Verfassungsschutzbeamten verhört wurde. Einen Tag später ist ein anderer deutscher Islamist im angrenzenden Pakistan von einer US-Drohne getötet worden. Doch die Akten dazu durften wir nicht sehen, dabei ist die deutsche Rolle im US-Drohnenkrieg expliziter Untersuchungsgegenstand.

Eine weitere Posse: Wir sollen in unserem Sondervotum nicht schreiben dürfen, was der Ausschussvorsitzende in seinem Buch ausplaudert. Er zitiert offen aus einer BND-internen E-Mail, während diese Passage in unserem Sondervotum geschwärzt ist. Gleiches gilt für den geheimen Namen einer Operation von BND und GCHQ. Uns soll verboten werden, Monkeyshoulder zu erwähnen, Herr Sensburg darf das natürlich.
Auch der Bericht der Datenschutzbeauftragten über die BND-Stelle Bad Aibling sollte geheim bleiben - 18 schwerwiegende Rechtsverstöße, zwölf offizielle Beanstandungen.

Dann führen Sie doch endlich den Geheimhaltungsgrad 'VS Vertuschung' ein!

Auch wenn wir parlamentarische Anfragen zu Geheimdiensten stellen, werden wir mit vorgefertigten Satzbausteinen abgespeist. Eine Beantwortung sei nicht möglich, weil sie die Arbeit der Dienste und das Wohl des Staates gefährden würde. Und genau gegen diese Haltung klagen wir vor dem Bundesverfassungsgericht. Denn diese Haltung läuft darauf hinaus, die Aufklärung schwerster Straftaten zu verhindern. Mit dieser Haltung wird die Strafverfolgung der NSU-Verbrechen, ebenso behindert wie die vollständige Aufklärung des Oktoberfestattentats, aber auch die illegalen Machenschaften der NSA und des BND bleiben ohne Folgen für so manche Verantwortliche.

Damit werden wir uns nicht abfinden - auch wenn Sie unsere Berichte in der Geheimschutzstelle begraben, Akten zurückhalten und sich von den Diensten am Nasenring durch die Arena ziehen lassen. Wir bleiben dabei: In einer Demokratie bedeutet Staatswohl, dass das Parlament die Regierung kontrolliert und nicht umgekehrt. Und wenn diese Regierung das anders sieht, dann brauchen wir eine andere Regierung.

Zum Video

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