Transparenz und Öffentlichkeit bei der Aufklärung des NSA Skandals

Martina Renner

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Sehen Sie es mir nach: Ich bin immer noch etwas aufgewühlt von der vorangegangenen Debatte. Ich denke, wenn wir die Verteidigung von Grundrechten und Demokratie wirklich ernst nehmen ‑ darum geht es auch in Dresden: diese Werte gegen die Neonazis zu verteidigen ‑,

(Dagmar Ziegler (SPD): Es geht um Unrecht!)

dann hätten wir die Debatte aushalten und uns noch weiter die Argumente anhören müssen. Ich fand das in diesem Sinne keinen guten demokratischen und parlamentarischen Stil.

(Dagmar Ziegler (SPD): Aber Ungesetzlichkeit kann man auch nicht hinnehmen!)

Ich finde, gerade wenn wir bei der Einsetzung des Untersuchungsausschusses in vielen Punkten Gemeinsamkeiten feststellen, sollten wir noch einmal reflektieren, ob die Art und Weise, wie die Debatte eben abgelaufen ist, dem Gegenstand, um den es geht, tatsächlich angemessen war.

(Dagmar Ziegler (SPD): Da hat sie vollkommen recht! - Max Straubinger (CDU/CSU): Was?)

Jetzt komme ich zu dem Thema, über das wir heute reden wollen: dem gemeinsamen Einsetzungsantrag aller Fraktionen. Es ist fast ein Jahr her, dass wir alle durch die mutigen Enthüllungen von Edward Snowden erfahren haben, wie umfassend wir durch US-amerikanische Geheimnisdienste und ihre Partner in Deutschland überwacht werden. Diese Überwachung betrifft tatsächlich uns alle, jeden Bürger, jede Bürgerin, uns alle hier im Saal, nicht nur die Kanzlerin und den Innenminister. Es ist ein Thema, das alle angeht. Deswegen ist es gut, dass endlich auch bestimmte Teile der Großen Koalition den Umfang und den Skandal dieser Überwachung insoweit festgestellt haben, dass sie jetzt zu dem Ergebnis gekommen sind, dass wir mit einem gemeinsamen Untersuchungsauftrag diese Überwachung aufklären wollen. Es ist eine einmalige Chance zur Aufarbeitung und ein gutes Zeichen, das wir fraktionsübergreifend Grundrechtsverletzungen als gemeinsame parlamentarische Aufklärungsaufgabe begreifen.

Wir wollen die Arbeit US-amerikanischer und britischer Dienste sowie die ihrer engsten Partner untersuchen; so haben wir es formuliert. Wir sollten uns nicht von den Beteuerungen beruhigen lassen, dass nur sogenannte Metadaten, also Verbindungsdaten, gespeichert wurden und keine Gesprächsinhalte; denn wir wissen, dass gerade anhand der Verbindungsdaten exakte Profile der Nutzer erstellt werden können. Jeder kann sich einmal vorstellen, wie viel über ihn ausgesagt wird, wenn klar ist, wen er früh morgens oder spät abends anruft, welche Internetseiten er aufruft oder wem er eine E-Mail schickt.

Wir fragen auch: Wie kooperieren dabei die ausländischen Geheimdienste mit den deutschen Partnerdiensten? Auch wenn die deutschen Spitzelzentralen nicht über dieselben technischen Möglichkeiten verfügen, müssen wir das Bundesamt für Verfassungsschutz, den BND und den MAD unter die Lupe nehmen; denn sie alle arbeiten aller Wahrscheinlichkeit nach nach derselben Religion der Totalüberwachung. Für einen Geheimdienst heißt es beim Sammeln von Informationen hüben wie drüben des großen Teiches: Mehr ist immer besser. ‑ Diese Geheimdienstphilosophie muss nicht nur untersucht werden, sondern muss im Sinne des Grundrechtschutzes auch beendet werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir nehmen den BND und das BfV dabei in den Blick, weil wir als Linke fest davon ausgehen, dass der große Bruder einen kleinen Bruder hat und beide Hand in Hand arbeiten, zum Beispiel durch den Ringtausch. Wir werden untersuchen, ob beispielsweise die NSA oder der britische Geheimdienst dem BND dort hilft, wo dieser nicht zugreifen dürfte, Freundschaftsdienste sozusagen.

Wir glauben, dass die Bundesregierungen aller Farbkombinationen in den letzten Jahren von dieser Praxis gegebenenfalls wussten und vielleicht auch profitiert haben. Dabei müssen wir uns noch einmal vor Augen führen, wann die Zusammenarbeit zwischen der NSA und den deutschen Stellen intensiviert wurde, nämlich weit vor dem 11. September 2001, basierend auf einer Vereinbarung zur engeren Zusammenarbeit zwischen den US-Geheimdiensten und den bundesdeutschen Nachrichtendiensten durch den damaligen Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier. Wir werden ‑ so ist es jedenfalls Wille meiner Fraktion ‑ Herrn Steinmeier im Ausschuss danach fragen, was er da im Einzelnen abgesprochen hat und warum er diese Zusammenarbeit so forciert hat.

(Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir wollen die Vereinbarung sehen!)

- Und wir wollen die Vereinbarung sehen. Sehr richtig, Herr Kollege Ströbele!

Der Untersuchungszeitraum beginnt daher aus guten Gründen schon im Frühjahr des Jahres 2001 und endet erst heute. Zudem werden wir dafür sorgen, dass weitere Behörden und Institutionen des Bundes einbezogen werden: Nachrichtendienste, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und selbstverständlich die Bundesregierung.

Es geht um die Zukunft unserer Grundrechte in einer digitalisierten Welt. Es geht um die Frage, ob die Daten und die Datenspuren schutzlos sind, Geheimdiensten und privaten Unternehmen zur Kontrolle, zur kommerziellen Nutzung, zur Überwachung und letztendlich auch zur Manipulation ausgeliefert bleiben oder eben nicht. Deshalb ist es für uns alleroberstes Ziel, dass der Untersuchungsausschuss so transparent und öffentlich wie möglich tagen und arbeiten wird. Das ist ein Versprechen, das wir heute hier geben müssen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden alles in unseren Kräften Stehende tun, jedem Versuch entgegenzutreten, aus einem öffentlich tagenden Ausschuss eine geheim tagende parlamentarische Kontrollkommission light oder 2 zu machen. Die Durchdringung unserer digitalen Welt durch Dienste, ihre Helfer und Auftraggeber ist nicht mit geheimen Methoden aufzuklären und schon gar nicht zu kontrollieren.

Wir wollen, dass derjenige, der uns allen die Augen geöffnet hat, Herr Snowden, vor dem Ausschuss aussagen kann in einer Form, die ihn nicht selbst gefährdet. Edward Snowden istder Fachmann für jeden bisher veröffentlichten Satz. Wir alle wissen aber, dass dafür Voraussetzungen geschaffen werden müssen, die nicht einfach sein werden. Sicherheit, Auslieferungs- und Entführungsschutz sind die Stichworte. Es wäre nicht das erste Flugzeug, das von den USA zur Landung gezwungen würde. Ich denke, das ist eine sehr ernste Aufgabe für den Ausschuss.

Dass die abgehörten Institutionen, zum Beispiel auch die Regierung, selbst den Weg zur Totalüberwachung geebnet haben, davon müssen wir ausgehen. Die Bundesregierungen haben selbst aktiv die Massenerfassung von Daten vorangetrieben, auch gegen den Widerstand einer kritischen Öffentlichkeit und der inner- und außerparlamentarischen Opposition. Herr Dr. Sensburg, unsere Kritik ist nicht klein-klein, sondern an dieser Stelle fundamental.

(Beifall bei der LINKEN)

Denken wir nur an den permanenten Austausch von Fluggastdaten zwischen der EU und den USA, die Bankbewegungsdaten im SWIFT-Verfahren oder die vielen weiteren internationalen Abkommen, die diesen Datentransfer erst legalisiert haben. In den Diensten läuft es nach dem Motto: Von allem, was für den US-amerikanischen Freund gesammelt wird, profitieren wir auch selbst, und das wollen wir möglicherweise auch dann selbst haben.

Die Bürger haben ein Recht darauf, zu erfahren, wie umfassend die Überwachung und Kontrolle derzeit ist, nicht nur in der Vergangenheit war, damit sie selbst und wir als Parlament Maßnahmen ergreifen können, um die digitalen Grundrechte zu schützen, wie es das Grundgesetz gebietet; denn unsere Demokratie ist durch ein System totaler Überwachung und Kontrolle in Gefahr. Das ist tatsächlich eine große Aufgabe für diesen Untersuchungsausschuss.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Eva Högl (SPD))