Antifaschismus

Bei Aufdeckung des Unterstützer-Netzwerkes bisher nur an der Oberfläche

Quelle: otz.de/13.05.2016/Dokumentation

Bei der Aufklärung der NSU-Morde geht Martina Renner davon aus, dass V-Mann-Führer bewusst spät vernommen werden. Gegenüber der TLZ spricht sie vom noch immer großen Aufklärungsbedarf beim Aufdecken des Unterstützer-Netzwerkes.

NSU-Aufklärung: Martina Renner (Linke) glaubt, dass V-Mann-Führer bewusst spät vernommen werden. Zu dem sieht sie noch großen Aufklärungsbedarf beim Aufdecken des NSU-Unterstützer-Netzwerkes.

Die Rolle von V-Mann Ralf Marschner wird im NSU-Prozess nicht näher beleuchtet. Die Thüringer Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke) hätte Marschner gern als Zeugen im Prozess gegen Beate Zschäpe und vier Unterstützer des NSU-Netzwerkes gesehen. Die Innenpolitikern sagt: "Er ist derjenige von den Spitzeln des Verfassungsschutzes, der meiner Meinung nach am nächsten an dem NSU-Trio dran gewesen ist." Möglicherweise habe Marschner sogar dafür gesorgt, dass sich das Trio unerkannt in Zwickau aufhalten und dort leben konnte.

Aus Sicht von Martina Renner, die in der vergangenen Legislaturperiode als Thüringer Landtagsabgeordnete den ersten NSU-Ausschuss des Landesparlaments leitete, gibt es dafür zahlreiche Belege. Nicht nur, dass Zschäpe im Geschäft von Marschner gesehen wurde und der Name Max-Florian Burckhardt, ein Alias, den Uwe Mundlos verwendete, auf den Lohnlisten des Marschner-Unternehmens auftauchte. Marschner soll mit Mundlos auch bei einem Fußballturnier in Greiz gesehen worden sein. Der V-Mann verschwand im Juli 2007 aus Zwickau – in zeitlicher Nähe zum Mord an der Thüringer Polizistin Michelle Kiesewetter plötzlich "Hals über Kopf", wie Renner sagt. Außerdem seien in Sachsen "außerhalb der großen Schredderaktion" Akten von Marschner verschwunden – in einem der verschwundenen Dokumente werde dieser beschuldigt, einem mutmaßlichen rechten Totschläger ein falsches Alibi gegeben zu haben. Deshalb stellt sich Renner die Frage, ob das Bundeskriminalamt allen Hinweisen im Fall Marschner nachgegangen ist. "Ich würde sagen, nein", gibt sie die Antwort im TLZ-Gespräch selbst. Daher ist Martina Renner froh, dass der Untersuchungsausschuss im Bundestag jetzt ab Juni den Fall Marschner und die Frage nach seiner Rolle bei der Unterstützung des NSU-Kerntrios untersuchen wird. "Bislang haben wir Zeit im Bund verloren", sagt sie.

Die Begründung liegt aus ihrer Sicht aber nahe: "Es ist etwas anderes, den Polizeiführer in Thüringen anzuzählen, als den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz", macht sie auf die politische Dimension aufmerksam und kritisiert, dass es aus ihrer Sicht nach wie vor kaum Transparenz der Behörden beim Umgang mit dem Ausschuss gibt. Zuletzt war bekannt geworden, dass ein Handy des V-Mannes "Corelli" über Jahre nicht dem Untersuchungsausschuss zur Verfügung gestellt wurde. "Nun behauptet das BfV, das Handy habe die ganze Zeit in einem Safe gelegen und sei bei vier Durchsuchungen dieses Tresors nicht aufgefallen. Eine Behörde, die erst beim fünften Versuch ein Telefon in einem Tresor findet, sollte nicht mit Aufgaben betraut werden, von denen viel abhängt."

Für Renner, die den NSU-Prozess in München seit Anbeginn intensiv verfolgt, steht fest, dass die Aufklärung im NSU-Komplex mit einem Urteil am OLG München nicht vorbei sein kann. Es gebe, sagt sie, derzeit ein Verfahren des Generalbundesanwaltes, das gegen neun namentlich Beschuldigte aus dem NSU-Umfeld geführt wird. Hinzu kommt noch ein weiteres gegen Unbekannt. Diese Verfahren müssen, davon ist die Innenexpertin überzeugt, in einem Prozess münden, will man sich die Chance erhalten, den NSU und sein Umfeld komplett aufzudecken. "Kommen diese Prozesse nicht, dann bleibt es bei der Version, dass es sich um eine abgeschlossene Zelle handelt und so etwas nicht wieder vorkommen kann", sagt Renner. Was die Aufdeckung des Unterstützungsnetzwerkes anbelangt, sei man aktuell gerade erst an der Oberfläche angekommen.

Ausdrücklich behält sie sich auch die Option eines weiteren NSU-Untersuchungsausschusses im Bund in der nächsten Legislaturperiode vor. Aber sie sagt deutlich: "Ein solcher Ausschuss muss ein klares Ziel haben und darf nicht der Selbstbeschäftigung dienen."

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