Antifaschismus

Deutschland ist in der europäischen Realität des Rechtspopulismus angekommen

Martina Renner

Mehrere hundert TeilnehmerInnen zählte die "United Against Facism"-Konferenz in London. Martina Renner sprach über das Pegida-Phänomen in Deutschland und die Möglichkeiten, diese rassistische Mobilisierungen zu stoppen und stellt die Frage: Wie kann die gesellschaftliche Linke in dieser politischen Krise handlungsfähig werden?

Mehrere hundert TeilnehmerInnen zählte die "United Against Facism"-Konferenz am 6. Februar in London. Martina Renner sprach über das Pegida-Phänomen in Deutschland und die Möglichkeiten, diese rassistische Mobilisierungen zu stoppen und stellt die Frage: Wie kann die gesellschaftliche Linke in dieser politischen Krise handlungsfähig werden?

Martina Renner auf der Konferenz: "Refugees welcome here - unite against Islamophobia, racism and fascism in Europe":

"Die paradoxe Situation ist folgende: Während Deutschland als einer der einflussreichsten Staaten Europas nicht nur maßgeblich zur Abschottung Europas beigetragen hat, sondern zudem in immer kürzeren Abständen die Gesetze für Flüchtlinge verschärft, gilt Angela Merkel weltweit als Ikone der Humanität und wäre dafür beinahe mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Wie wir bereits am Vormittag diskutiert haben, werden die erwähnten Gesetzesverschärfungen von einer ungekannten rassistischen Eskalation begleitet, die sich in Gewalttaten, Aufmärschen aber auch einer steten Verschiebung des öffentlichen Diskurses nach rechts niederschlägt.
Wir haben heute auch über Parallelen und Unterschiede in den verschiedenen europäischen Ländern und Bewegungen gesprochen. Eine der Fragen, die sich aus diesem Austausch ergeben, ist: Wie kann die gesellschaftliche Linke in dieser politischen Krise handlungsfähig werden? Was müssen wir anders machen in Zeiten von digitaler Mobilisierung und neuen Formen der Organisierung und des Aktivismus. Nur ein Beispiel: In Berlin stürmten als Protest gegen die EU-Abschottungspolitik tausende Menschen die gut bewachte Wiese hinter dem nationalen Parlamentsgebäude und gruben symbolisch hunderte Gräber für die im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlinge im Angesicht der Täter/innen aus der Politik.

Dafür sehe ich drei Ansätze, die hoffnungsvoll erscheinen:

1.    Wir brauchen neue Allianzen im Angesicht neuer Herausforderungen
In den Diskussionen und Gesprächen dieser Konferenz und oftmals auch in den politischen Biographien der Teilnehmenden wurde deutlich, wie wichtig Querverbindungen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und unterschiedlichen Bereichen des Aktivismus sind. Traditionell konnte die Linke schon immer Stärke daraus ziehen Brücken aus dem Bereich der Gewerkschaftsarbeit und des Arbeitskampfes zu anderen Feldern zu schlagen. Doch auch Mitglieder religiöser Communities können wichtige Verbündete im Kampf gegen eine Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nach rechts sein. In Dresden konnten wir den größten Aufmarsch von Neonazis in Europa dauerhaft stoppen durch ein Bündnis, in dem neben antifaschistischen Gruppen, Gewerkschaften und Parteien auch Vertreter/innen muslimischer, jüdischer und christlicher Organisationen vertreten waren. Auch die Einbeziehung von Migrant/innen und Flüchtlingen und deren Organisationen ist eine wichtige Lektion für die zukünftige Bündnisarbeit.

2.    Wir müssen die Widersprüche herausarbeiten
In vielen Ländern Europas engagieren sich Menschen für Flüchtlinge. Das Spektrum der Engagierten reicht dabei von Politiker/innen und professionellen Kräften karitativer NGOs über langjährige politische Aktivist/innen bis zu unerfahrenen Freiwilligen, die vor Ort Zeit und Ressourcen spenden. Die Rolle der Linken ist dabei ambivalent. Einerseits werden die vielen Helfer/innen begrüßt und man freut sich über neue Gesichter auf Demonstrationen und Veranstaltungen. Andererseits herrscht Misstrauen und Überheblichkeit, schließlich fehle vielen der Helfer/innen der Blick für das gesellschaftliche Ganze und die systemischen Zusammenhänge. Gewinnen kann die Linke nur, wenn sie gleichzeitig Lehrerin und Schülerin ist. Wir müssen lernen, was Menschen motiviert gesellschaftlich aktiv zu werden und wir müssen vermitteln, was an dem Aktivismus gesellschaftlich ist. Wir müssen lernen, aus welchen Motiven Menschen anfangen, inhumaner staatlicher Politik zu widersprechen und wir müssen daran arbeiten, diesen Widerspruch mit dem Bewusstsein zu füllen, dass die Gesellschaft erst noch human werden muss.

3.    Wir müssen die Krisen aufeinander beziehen
Ich denke, dass wir nicht über die sog. Flüchtlingskrise sprechen können ohne über die Griechenland-Krise, die Euro-Krise und schließlich die Krise des Kapitalismus zu sprechen. Es sind in vielen Ländern dieselben Politiker/innen, die heute darüber sprechen, dass die Ressourcen zu knapp sind, um Flüchtlinge aufzunehmen, die gestern die griechische Bevölkerung für den Bankrott des Landes verantwortlich machten und vorgestern Milliarden für die Rettung europäischer Banken bereitgestellt haben und gleichzeitig die öffentlichen Haushalte ruiniert haben. Als Linke müssen wir zum einen auf die Verschränkung der Ursachen hinweisen und auch auf die Gefahr, dass Rassismus und Antisemitismus in Krisenzeiten im wahrsten Sinne des Wortes brandgefährliche Dynamiken entwickeln. Wir sollten aber auch darauf hinweisen, dass die Lösungen dieser Probleme miteinander verknüpft sind. Wir brauchen keine Sondergesetze für Flüchtlinge und wir brauchen keine Notunterkünfte. Stattdessen brauchen wir soziale Gesetze und menschenwürdige, bezahlbare Infrastruktur von Wohnen, über Mobilität bis Bildung für alle. Indem wir die gemeinsame Organisierung vorantreiben, um soziale Probleme solidarisch zu lösen, entlarven wir auch die Ethnisierung des Sozialen als Lüge.


Input zum Workshop


Deutschland ist in der europäischen Realität des Rechtspopulismus angekommen - Die gesellschaftliche Linke hat zu spät reagiert.

"In den letzten 20 Jahren galt:

1. Der pogromartige rechte Gewalt Anfang und Mitte der 90er Jahre und der daraus erwachsene rechte Terror sind eine Zäsur in der Geschichte des Neonazismus in Deutschland. Eine Wiederholung galt als möglich aber unwahrscheinlich;

2. Parteien rechts von der CDU konnten sich weder dauerhaft noch bundesweit parlamentarisch etablieren. Demokratische Parteien, Medien, Zivilgesellschaft zogen eine klare Trennlinie.

3. Rechtspopulismus war bisher nicht in der Lage als soziale Bewegung auf der Straße aufzutreten./Es gelang der gesellschaftlichen Rechten nicht, Deutungshoheit über soziale Fragen zu erlangen bzw. als Opposition gegen das politische Establishment zu agieren.

Seit letztem Jahr geraten diese Gewissheiten ins Wanken.

1. Schon seit 2013 steigt die Zahl rechtsextremer Gewalttaten. Das in einer Phase, in der durch den Beginn des Prozesses gegen fünf Mitglieder des NSU in München die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf dem Thema hoch wie selten ist.
Es kommt immer häufiger zu Übergriffen in der Öffentlichkeit, Angriffen auf Partei- und Abgeordnetenbüros, immer wieder gibt es Waffen- und Sprengstofffunde.
Seit 2014 nehmen auch die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, MigrantInnen und HelferInnen deutlich zu. Über tausend waren es allein im letzten Jahr; 138 Brandanschläge, die Hälfte auf bewohnte Unterkünfte.
Dabei lässt sich eine Eskalation der Gewalt feststellen: Während anfangs vor allem Angriffe auf unbewohnte oder im Bau befindliche Unterkünfte stattfanden, kommt es mittlerweile nicht nur regelmäßig zu Brandstiftungen oder Anschlägen mit Sprengstoff auf bewohnte Unterkünfte, auch die Berichte über körperliche Übergriffe auf Bewohner/innen häufen sich.

2. Die 2013 gegründete Partei  Alternative für Deutschland(AfD) verpasste zwar 2014 mit 4,7% knapp den Einzug in den deutschen Bundestag, es gelang ihr dennoch mit mittlerweile 42 Abgeordneten in 5 Landtage einzuziehen (Thüringen, Sachsen, Brandenburg, Hamburg, Bremen) und mehrere Abgeordnete in das Europäische Parlament zu entsenden. Bei den bevorstehenden Landtagswahlen in diesem Jahr kann sie mit einem Einzug in 4-5 weitere Landesparlamente rechnen. Im Bund steht die über 19.000 Mitglieder starke Partei derzeit erstmals zweistellig. Damit hat die AfD schon jetzt mehr politische Erfolge erzielt als irgendeine andere Rechtspartei in der Geschichte der Bundesrepublik.
Sie tritt zunehmend auch als Organisatorin von Demonstrationen auf und erfüllt mehr und mehr eine Scharnierfunktion zwischen der extremen Rechten und dem rechtskonservativen Spektrum.
Ihr Fokus verschob sich dabei von einer Anti-Euro-Partei rechter Marktradikaler hin zu einer vornehmlich rassistischen Anti-Flüchtlingspartei. Wirksam ist die AfD nicht nur dort, wo sie in die Parlamente einzieht und durch Aufmärsche das Klima bestimmt, es gelingt ihr auch, die Regierungskoalition weiter nach rechts zu treiben.

3. Aus einem am Anfang belächelnden regionalen Phänomen im sächsischen Dresden: Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendslands) ist mit Auf und Ab eine der größten rechten Mobilisierungen entstanden, die zu Hochzeiten mehr als 20.000 Menschen mobilisieren konnte. Aktuell demonstrieren wöchentlich ca. 3-4000 Menschen. Die TeilnehmerInnen kommen auch aus dem bürgerlichen Milieu und sind in der Tendenz älter, männlich und relativ wohlhabend. Mittlerweile übernehmen Theoretiker der Neuen Rechten das Geschehen und träumen von einer europäischen Sammlungsbewegung im Geist der konservativen Revolution. das  Am Rande der Versammlungen kommt immer wieder es zu Angriffen auf Migrant_innen, Journalist_innen, GegendemonstrantInnen und Polizei.

Alle drei Elemente: Pegida, AfD und eine erneute pogromartige gewalttätige Hetze gegen Flüchtlinge haben als Hauptmotiv Rassismus. Dabei gelingt es vielerorts, soziale Unzufriedenheit rassistisch zu organisieren und sich als vermeintlich einzige echte Opposition zu präsentieren. Symbolisch für dieses Kräfteverhältnis steht die Parole „Merkel muss weg“, die gegenwärtig eindeutig rechts besetzt ist.
Außerdem befördern alle drei Phänomen die bereits erwähnte rassistische Eskalation: Auf Gida-Demonstrationen wird dazu aufgerufen Selbstjustiz zu üben und Bürgerwehren aufzubauen, die AfD will auf Flüchtlinge an der Grenzen schießen und die Brandanschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte werden in den sozialen Netzwerken der neuen rechten Bewegung sowohl herbeigeschrieben, z.T. auch vorbereitet, wie auch im Nachgang beklatscht.

Die Linke hat zu spät die neue Qualität der rechten Formierung erkannt und versuchte am Anfang mit  alten Mitteln einer neuen Gefahr zu begegnen. Die gegenwärtigen und bevorstehenden Auseinandersetzungen innerhalb und außerhalb der Parlamente machen jedoch deutlich: Um handlungsfähig zu werden bedarf es neuer Analysen neuer Allianzen, und neuer Aktionsformen. Auch ist es wichtig, antifaschistische Politik mit der Entwicklung sozialer Alternativen zu verbinden. Für beides spielt der Austausch mit Initiativen und Kampagnen in anderen europäischen Ländern eine nicht zu unterschätzende Rolle."

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