Antifaschismus

NS-Geschichte des Bundeskanzleramtes aufarbeiten

Martina Renner

Die Linksfraktion im Bundestag drängt weiter auf eine Aufarbeitung der NS-Geschichte des Bundeskanzleramtes durch unabhängige Historiker_innen. In einer öffentlichen Anhörung des Kulturausschusses plädierten alle eingeladenen Expert_innen ebenfalls dafür, dessen Vergangenheit hinsichtlich personeller Kontinuitäten zur Zeit des Nationalsozialismus zu erforschen.

Nach einer langen Periode des generellen Verschweigens und Verweigerns sind inzwischen einige wissenschaftliche Studien über die Rollen verschiedener Ministerien zwischen 1933 und 1945 sowie über personelle Kontinuitäten entstanden. So gilt die Historikerkommission zur Geschichte des Auswärtigen Amts gewissermaßen als Durchbruch bei der Aufarbeitung staatlicher Institutionen, die daraufhin an vielen Stellen vorangetrieben wurde. Neben diversen Ministerien haben auch Institutionen des Bundes wie das Bundeskriminalamt und die Geheimdienste Forschungsvorhaben ausgeschrieben bzw. Historikerkommissionen eingesetzt – nicht so das Bundeskanzleramt. Obwohl es "als exekutive Schaltzentrale der Bundesrepublik Deutschland, eine bedeutende Rolle beim Umgang mit dieser Vergangenheit spielt", so der im November 2014 in den Bundestag eingebrachte Antrag "Unabhängige Historikerkommission zur Geschichte des Bundeskanzleramtes einsetzen" (18/3049) der Linksfraktion.

Einhellig haben sich nun auch Expert_innen in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Kultur und Medien am 1. Juni 2016 für eine solche Erforschung der Geschichte des Kanzleramtes ausgesprochen. So verwies Norbert Frei von der Friedrich-Schiller-Universität Jena übereinstimmend mit seinen Kolleg_innen darauf, dass in der Geschichtsschreibung des Bundeskanzleramtes bislang eine Lücke klafft, die geschlossen werden sollte.

Klaus-Dietmar Henke und Jost Dülffer, die beide der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes (BND) angehören, plädierten dafür, die Vergabe des Forschungsauftrages nicht wie im Fall des BND zu organisieren. Der BND habe den Forschungsauftrag selbst formuliert und die vier Mitglieder der Kommission ernannt. Zwar habe die Unabhängigkeit der Kommission darunter nicht gelitten, sagte Dülffer. Man sollte jedoch trotzdem einen anderen Weg suchen, um etwaigen Verdächtigungen zuvorzukommen. Die beiden Historiker sprachen sich dafür aus, den Forschungsauftrag im Rahmen eines Wettbewerbs zu vergeben.

Ulrike Jureit vom Hamburger Institut für Sozialforschung erklärte in der Anhörung, der Forschungsauftrag dürfe sich nicht auf ein reines Auszählen von NS-belasteten Personen im Kanzleramt und biographische Darstellungen beschränken. Ebenso wie Christian Mentel vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam plädierte sie dafür, den Forschungsauftrag möglichst weit zu fassen. Es müsse um eine "qualitative Betrachtung von Transformationsprozessen im postdiktatorischen System gehen und um die Rolle, die das Personal und der bürokratische Apparat in diesem Prozess gespielt habe". In diesem Sinne argumentierten auch alle anderen Historiker_innen. Ebenso müsse die Rolle der DDR-Propaganda gegen das Kanzleramt im Zusammenhang mit den personellen NS-Kontinuitäten untersucht werden.

Wenige Wochen vor der Anhörung im Kulturausschuss hatte das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" berichtet, das Kanzleramt habe seinen jahrelangen Widerstand gegen eine offizielle Aufarbeitung seiner Gründerzeit aufgegeben. Die Aufarbeitung solle nun diskret in einem „ressortübergreifenden Forschungsprogramm“ erfolgen, das Kulturstaatsministerin Monika Grütters zurzeit vorantreibe. Offiziell bestätigt wurde bislang nur, dass es in der Regierung interne Überlegungen gebe, die Forschungen ressortübergreifend zu bündeln.

„Es ist an der Zeit, dass auch das Bundeskanzleramt sich endlich seiner Geschichte stellt und eine unabhängige Untersuchung ermöglicht. Gerade aufgrund seiner Bedeutung kommt dem Amt eine wichtige Signalwirkung für das historische Selbstverständnis der deutschen Gesellschaft zu. Dazu gehören auch Fragen personeller und ideologischer Kontinuitäten. Dieser Verantwortung muss das Amt gerecht werden“, erklärte Martina Renner, Sprecherin für Antifaschistische Politik der Linksfraktion.

Für die jahrelangen parlamentarischen Bemühungen der Linksfraktion wäre das ein Erfolg. Allerdings muss es nun darum gehen, dass tatsächlich eine unabhängige Historikerkommission eingesetzt und ein Untersuchungsauftrag formuliert wird, der die Frage der personellen und inhaltlichen NS-Bezüge in der Bundesrepublik Deutschland und die Kenntnis und Stellung des Bundeskanzleramtes hierzu ins Zentrum stellt. Ferner muss es darum gehen der Historikerkommission den freien Zugang zu allen für den Auftrag notwendigen Akten zu garantieren und eine ausreichende Finanzierung sicherzustellen.