Antifaschismus

Verdunklung als Prinzip: Geheimdienste und rechter Terror

Martina Renner und Sebastian Wehrhahn

Fünf Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU sind dessen Hintergründe noch immer nicht aufgeklärt – trotz parlamentarischer Untersuchungsausschüsse. Ihre Arbeit wird durch jene Behörden blockiert, die eigentlich an der Aufarbeitung mitarbeiten sollten: Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft. Auch beim Oktoberfestattentat vom September 1981 gab es gravierende Aufklärungslücken.

Fünf Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU sind dessen Hintergründe noch immer nicht aufgeklärt – trotz zahlreicher parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, die genau zu diesem Zweck in Bund und Ländern eingerichtet wurden. Doch ihre Arbeit wird ausgerechnet durch jene Behörden blockiert, die eigentlich selbst zentral an der Aufarbeitung des rechten Terrors mitarbeiten sollten: Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft. Immer wieder haben Mitarbeiter dieser Behörden relevante Akten zu Geheimdienstspitzeln im Umfeld des NSU vernichtet oder zurückgehalten.1

Nicht minder gravierend sind die Aufklärungslücken in einem anderen Kapitel in der Geschichte des deutschen Rechtsterrorismus: dem Oktoberfestattentat vom 26. September 1981. 13 Menschen starben, 211 wurden verletzt und unzählige traumatisiert, als damals ein Sprengsatz am Eingang des Münchner Oktoberfests explodierte. Doch bis heute ist dieser bislang schwerste Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik nicht aufgeklärt. Noch immer bestehen viele Ungereimtheiten fort und auch politisch ist der Fall noch lange nicht aufgearbeitet. Die Gründe für dieses "Aufklärungsversagen" ähneln denen im Fall des NSU – auch hier halten Geheimdienste und Bundesregierung möglicherweise relevante Informationen unter Berufung auf ein Staatswohl, das als Wohl der Geheimdienste verstanden wird, seit Jahrzehnten zurück. Und auch hier gibt es nicht nur handfeste Hinweise auf einen rechtsterroristischen Hintergrund, sondern auch auf eine Verstrickung der Geheimdienste. Damit werfen beide Fälle eine grundsätzliche Frage auf: die nach der demokratischen Kontrolle der Geheimdienste.

Vertraten die Ermittler wie auch führende bayerische Politiker der CSU kurz nach dem Anschlag auf das Oktoberfest zunächst die These, dieser sei von Linken verübt worden – eine Einschätzung, die insbesondere der CSU in ihrem Wahlkampf gegen Kanzler Helmut Schmidt (SPD) genützt hätte –, wiesen die Ermittlungsergebnisse bald in die entgegengesetzte Richtung. Bei der Leiche, die die Ermittler als Attentäter identifizierten, handelte es sich um den 21jährigen Gundolf Köhler, der den Behörden bereits als Anhänger der neonazistischen Wehrsportgruppe Hoffmann (WSG) bekannt war.

Die WSG war zu diesem Zeitpunkt ein sensibles Politikum. Im Januar 1980 wurde die paramilitärische Organisation von Innenminister Gerhart Baum (FDP) als verfassungsfeindlich verboten; das bayerische Innenministerium hatte dafür hingegen keinen Anlass gesehen. Zuvor konnte deren Gründer, der Neonazi Karl-Heinz Hoffmann, mehrere hundert Anhänger in verschiedenen Gruppen im gesamten Bundesgebiet in seiner Organisation versammeln. Bei den im Zuge des Verbots durchgeführten polizeilichen Durchsuchungen wurden 18 Wagenladungen voll Propaganda, militärischer Ausrüstung, Waffen und Sprengstoff gefunden.

Trotz dieser Spur ins rechtsterroristische Milieu galt Köhler schon am Folgeabend des Anschlags nicht nur den Ermittlern, sondern auch der Öffentlichkeit als der alleinige Verdächtige. Indizien, die auf eine politische Motivation verweisen – Köhlers Teilnahme an Übungen der Wehrsportgruppe Hoffmann, sein Ausweis der Wiking-Jugend, seine Versuche, eine eigene WSG aufzubauen, oder seine Äußerungen im Bekanntenkreis, man müsse einen Anschlag begehen, der den Linken angelastet werde und so die politische Stimmung beeinflussen könne –, wurden systematisch ausgeblendet. Die Ermittler des Bayerischen LKA, konservative Politik und Boulevardpresse zeichneten das Bild eines von Liebeskummer und beruflichen Sorgen getriebenen Einzeltäters.2 Mit dieser These wurden die Ermittlungen schließlich im November 1982 eingestellt.

Die These vom verzweifelten Einzeltäter vertritt heute kaum jemand mehr. Doch erst als sich 2014 – also 34 Jahre nach dem Anschlag – eine Zeugin mit Hinweisen auf potentielle Unterstützer Köhlers meldete, nahm die Generalbundesanwaltschaft die Ermittlungen wieder auf. Diese forderte jedoch bislang noch nicht die Geheimdienste auf, die Identitäten der V-Leute mit Bezug zum Attentat offenzulegen. Das aber wäre dringend nötig, will man tatsächlich aufklären.

Viele Ungereimtheiten im Tathergang sind von Anfang an bekannt: So hatten mehrere Zeugen angegeben, Köhler am Vortag sowie unmittelbar vor der Explosion in Begleitung weiterer Personen am Tatort gesehen zu haben. Eine Zeugin erinnerte sich an Köhler und einen weiteren Mann, die kurz vor der Explosion an einem weißen Gegenstand gezerrt haben sollen. Diese Aussage deckt sich mit der des Zeugen Frank Lauterjung. In mehreren Vernehmungen sagte dieser aus, Köhler habe eine weiße Plastiktüte in jenem Papierkorb abgestellt, von dem später die Explosion ausging. Zudem sei er in Begleitung zweier junger Männer in grünen Parkas gewesen. Doch die Ermittler gingen weder diesen noch weiteren Hinweisen nach.

Geradezu symbolisch für die zweifelhafte Rolle der Ermittlungsbehörden ist die Geschichte einer am Tatort gefundenen Hand, die lange Gundolf Köhler zugeordnet wurde. Noch 2014 vertrat die Bundesanwaltschaft diese Position. Das jedoch ist kaum glaubwürdig, denn die Position seiner Arme im Moment der Explosion macht es unwahrscheinlich, dass seine Hand überhaupt erhalten geblieben ist. Im Schlussvermerk der nach dem Anschlag eingerichteten SoKo Theresienwiese heißt es zudem, "eine serologische Zuordnung zur Leiche des Gundolf Köhler" sei nicht möglich gewesen. Interessant ist auch ein anderes Detail: Während sich der Fingerabdruck der Hand weder im Auto noch in der Wohnung Köhlers fand, konnte er auf einem Dokument auf den Universitätsunterlagen Köhlers festgestellt werden – noch ein Hinweis auf einen möglichen Mittäter.

Als der Journalist Ulrich Chaussy 2008 schließlich auf einen Abgleich mit möglicherweise erhaltener DNS von Köhler drängte, teilte ihm die Generalbundesanwältin mit, dass sämtliche Asservate des Oktoberfestattentats 1997 vernichtet worden seien. Die Hand befand sich nicht darunter, ihr Verbleib ist bis heute unbekannt. Mit Sicherheit vernichtet wurden hingegen 48 Zigarettenstummel verschiedener Marken aus dem hinteren Aschenbecher von Köhlers Wagen. Eine DNS-Analyse hätte eventuell Spuren zu Mittätern ergeben. Auch der Zeitpunkt der Asservaten-Vernichtung wirft Fragen auf: 17 Jahre nach der Tat verstrich keine gesetzliche Frist zur Aufbewahrung, die eine routinemäßige Vernichtung erklären könnte. Eine Erklärung für den Zeitpunkt könnte hingegen die sich anbahnende Änderung der Rechtslage liefern, denn 1998 wurde der DNS-Abgleich vor Gericht als Beweismittel zugelassen.

Die ungeklärte Rolle der Geheimdienste

Widersprüchlich sind auch die im Abschlussbericht enthaltenen Aussagen, Köhler habe den Sprengsatz alleine hergestellt und transportiert, obwohl sich weder in seinem Auto noch in seiner Wohnung Spuren dieses militärischen Sprengstoffs fanden und obwohl zwei inhaftierte Mitglieder der Deutschen Aktionsgruppen – eine Anfang der 1980er Jahre aktive, rechtsterroristische Organisation – angaben, der Sprengstoff stamme von Heinz Lembke, einem Neonazi aus der Lüneburger Heide. Eine Durchsuchung bei Lembke förderte kaum Relevantes zu Tage. Ein knappes Jahr später wurde jedoch durch eine zufällige Entdeckung eines Waldarbeiters bekannt, dass Lembke über 30 Depots mit Waffen und Sprengstoff aus Beständen der Bundeswehr verwaltete, aus denen sich verschiedene deutsche Rechtsterorristen versorgten.3 Es gibt jedoch Hinweise, dass der Bundesnachrichtendienst Lembkes Auftraggeber gewesen sein könnte: In Akten der DDR-Staatssicherheit sind Funksprüche des Bundesnachrichtendienstes an ein Agentenpaar in der Lüneburger Heide dokumentiert, in denen diese angewiesen werden, Waffendepots anzulegen.4 Doch die Bundesregierung macht bis heute keine Angaben darüber, ob Lembke einer dieser Agenten war. Lembke selbst lässt sich nicht mehr befragen. Kurz nachdem er sich zu umfänglichen Aussagen über die Herkunft der Waffen bereit erklärt hatte, wurde er im November 1981 erhängt in seiner Zelle aufgefunden. In den Spurenakten zum Oktoberfestattentat werden Erkenntnisse über Lembke als "nur zum Teil gerichtsverwertbar" bezeichnet – eine Formulierung, die sich häufig in Bezug auf V-Leute und verdeckte Ermittler findet.

Heinz Lembke ist jedoch keineswegs der einzige Hinweis auf eine mögliche Verstrickung der Geheimdienste in das Oktoberfestattentat. Auf eine Anfrage der Linksfraktion antwortete die Bundesregierung, dass sowohl beim Bundesnachrichtendienst als auch beim Bundesamt für Verfassungsschutz hunderte Quellenmeldungen, also Berichte von V-Leuten mit Bezug zur Wehrsportgruppe Hoffmann und zum Oktoberfestattentat vorliegen. Der Inhalt dieser Quellenmeldungen ist bis heute nicht einmal der Generalbundesanwaltschaft geschweige denn der Öffentlichkeit mitgeteilt worden.

Interessant ist auch, dass Hoffmann und einige seiner Anhänger just am Tag des Attentats unter Beobachtung des Verfassungsschutzes standen, während sie ausrangierte Bundeswehr-Fahrzeuge außer Landes schafften. Zwar ließ der Generalbundesanwalt die WSG-Mitglieder am 27. September festnehmen, doch wurden sie nur kurz darauf wieder freigelassen – nachdem das Bayerische LfV ihr Alibi für die Tatzeit bestätigt hatte. Einer von ihnen, WSG-Mitglied Walter Ulrich Behle, der zu diesem Zeitpunkt für den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz arbeitete, sagte später in einem Hotel in Damaskus gegenüber dem Barkeeper über das Oktoberfestattentat: "Das waren wir selbst."5 Doch wenn es um die Rolle der Geheimdienste geht, hüllt sich die Bundesregierung in Schweigen. Bis heute gibt sie weder Auskunft zum Einsatz von V-Leuten in der WSG oder in Bezug auf das Oktoberfestattentat noch zur möglichen geheimdienstlichen Tätigkeit von Heinz Lembke.

Im Mai 2015 reichten die Fraktionen von Linkspartei und Grünen deshalb vor dem Bundesverfassungsgericht Klage ein, über die noch nicht endgültig entschieden ist. Sie kritisieren in ihrer Klageschrift, die Bundesregierung halte entsprechende Informationen entweder mit dem Verweis auf das Staatswohl zurück, das durch die Bekanntgabe geheimdienstlicher Methoden gefährdet sei, oder aber mit der Begründung, V-Leute würden durch eine Enttarnung einem Risiko ausgesetzt. Doch von einer Gefährdung, die derart weitreichende Geheimhaltungsmaßnahmen rechtfertigen würde, kann keine Rede sein. Das zeigen die zahlreichen Enttarnungen von V-Leuten der rechten Szene, die ohne Folgen für das Wohl der Spitzel blieben – und Heinz Lembke ist seit über 35 Jahren tot.

Staatswohl vs. demokratische Kontrolle

Die Auseinandersetzung um die Auskunftspflicht der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Führung von V-Leuten im Umfeld der Wehrsportgruppe Hoffmann berührt die zentrale Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen des parlamentarischen Informations- und Kontrollrechts, um die sich Regierung und Opposition seit Jahren streiten. Gerade in der 18. Legislaturperiode verweigerte sich die Bundesregierung mehr als zuvor, parlamentarische Anfragen, beispielsweise nach der rechtlichen Grundlage geheimdienstlicher Einflussnahme auf Polizei und Staatsanwaltschaften6 umfassend zu beantworten oder vom NSA-Untersuchungsausschuss angeforderte
Akten vorzulegen. Stets wurde dies mit einer vermeintlichen Staatswohlgefährdung begründet. Doch dem ist politisch wie juristisch zu widersprechen: "Ein verfassungsrechtlich geschütztes Interesse, das unter Berufung auf ein besonderes Geheimhaltungsbedürfnis die Verweigerung von Informationen rechtfertigen könnte, ist das 'Staatswohl' nicht."7 Zudem ist das Staatswohl nach höchstrichterlicher Rechtsprechung der Bundesregierung wie dem Bundestag gleichermaßen anvertraut. Im Streit über die Freigabe von Geheimdienstakten zum Oktoberfestattentat und anderen rechtsterroristischen Aktivitäten der WSG geht es schließlich auch um die Frage, ob es einen gesellschaftlichen Anspruch auf Wahrheit und Aufklärung zu Terrorakten gibt, die möglicherweise ohne Zutun der Geheimdienste weder in der Form stattgefunden hätten oder deren Aufklärung ohne Eingriffe aus Politik und Behörden nicht blockiert worden wäre. Fest steht: Gerade bei Verbrechen mit einer möglichen Mitwisserschaft oder gar Beteiligung staatlicher Organe darf das Staatswohl nicht zur Legitimierung einer Geheimhaltung verfahrensrelevanter Informationen angeführt werden, denn die Konsequenz wären Geheimdienste, die sich im Wissen um ihre politische Rückendeckung noch selbstbewusster als bisher jeder demokratischen Kontrolle entziehen und weiterhin rechte und rechtsterroristische Strukturen aufbauen, decken und unterstützen können.

In Karlsruhe geht es daher nicht allein um die Aufklärung des schwersten terroristischen Anschlags in der Geschichte der Bundesrepublik, sondern auch darum auszuloten, welchen Spielraum ein demokratischer Rechtsstaat Geheimdiensten unkontrolliert überlassen darf, ohne damit selbst die Demokratie aufs Spiel zu setzen.

1 Vgl. Hajo Funke, Verharmlosung und Vertuschung, in: „die tageszeitung“, 30.10.2016.
2 Der Journalist Ulrich Chaussy rekonstruiert, dass die gezielte Weitergabe von Ermittlungsinterna an Journalisten zu dieser medialen Berichterstattung beitrug. Verantwortlich für diese Weitergabe ist der ehemalige BND-Agent und zu dem Zeitpunkt Leiter der Abteilung Staatsschutz im bayerischen Innenministerium, Hans Langemann, zu dessen Spezialgebiet die strategische Beeinflussung von Boulevardmedien zählte. Vgl. Ulrich Chaussy, Oktoberfest – Das Attentat, Berlin 2015, S. 119-136.
3 Vgl. Es ist Wolfszeit in: "Der Spiegel", 46/1981, 9.11.1981.
4 Vgl. Andreas Förster, Die Partisanentruppe unter der "Russenbrücke", in: "Berliner Zeitung", 24.3.2014.
5 Vgl. Unentwirrbares Dickicht, in: "Der Spiegel", 38/1985, 16.9.1985.
6 Vgl. Kai Biermann, Geheim, wenn es der Regierung passt, www.zeit.de, 6.9.2016.
7 Georg Hermes, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetzkommentar, Band II, Tübingen 32015, S. 1323.

Der Text ist erschienen in: Blätter für deutsche und internationale Politik 1/2017