Ausverkauf parlamentarischer Kontrollrechte

Quelle: junge Welt/20.06.2015/Dokumentation

Zur Geheimhaltung ihrer Zusammenarbeit mit der NSA greift die Bundesregierung zu absurden Verfahren, schreibt Martina Renner in der junge Welt.

Zur Geheimhaltung ihrer Zusammenarbeit mit der NSA greift die Bundesregierung zu absurden Verfahren

Am Donnerstag hat sich die CDU/SPD-Mehrheit im NSA-Untersuchungsausschuss – gegen die Stimmen von Linken und Grünen – darauf geeinigt, die parlamentarischen Kontrollrechte aufzugeben: Konkret haben die Koalitionäre beschlossen, dass eine – noch namentlich zu benennende – Vertrauensperson anstelle der Abgeordneten die von der Bundesregierung und den USA zurückgehaltene und zur geheimen Verschlussache erklärte Liste von tausenden mutmaßlich rechtswidrigen geheimdienstlichen Suchbegriffen einsehen und bewerten soll. Der Gipfel der Absurdität dieses Verfahrens, das im übrigen rechtlich überhaupt nicht vorgesehen ist: Die Bundesregierung hat die Begründung dafür, warum sie dem Ausschuss die Selektoren vorenthält und nur einer "Vertrauensperson" zeigen will, als weitgehend geheim eingestuft. Die Vertrauensperson wird im Auftrag und mit Vertrag der Bundesregierung tätig. Das heißt: Die Regierung entscheidet, wer ihrem Auslands-Geheimdienst im nachhinein Persilscheine ausstellt. Die Linke hat von Anfang an gegen diesen Ausverkauf parlamentarischer Kontrollrechte protestiert. Jetzt wird sie – schon zum zweiten Mal während des laufenden NSA-Untersuchungsausschusses – gemeinsam mit den Grünen Klage in Karlsruhe einreichen müssen.

Nach einem Jahr NSA-Untersuchungsausschusses wissen wir: Der BND lieferte und liefert womöglich bis heute Millionen und Abermillionen von Daten an die NSA. Dieser Datenschatz bildet für den BND die Basis für den Einsatz eigener wie US-amerikanischer Suchbegriffe und -formeln. Inzwischen geht der Untersuchungsausschuss davon aus, dass mehr als acht Millionen NSA-Selektoren im August 2013 in den zwei nach Wähl- und Internetverkehr getrennten Datenbanken des BND aktiv gestellt waren.

Schon im Jahr 2005 war dem BND aufgefallen, dass sich unter den durch die NSA übergebenen Telefon- und Faxnummern auch solche von europäischen Unternehmen mit deutscher Beteiligung – wie EADS und Eurocopter – befanden. In den Folgejahren gab es dann sowohl 2007/08 wie auch 2011 erneut Hinweise auf NSA-Suchbegriffe, die sich gegen den Wortlaut des so genannten Memorandum of Agreement (MoA) aus dem Jahr 2002 richteten, das Grundlage für die Zusammenarbeit in der bayerischen BND-Außenstelle Bad Aibling ist. Im MoA ist in Annexen geregelt, dass sich beide Seiten zum Schutz von Kommunikationsdaten deutscher wie US-amerikanischer Bürger, aber auch deutscher und europäischer Interessen verpflichten und dass bei Zuwiderhandlung die jeweilige Behördenspitze zu informieren sei. Zudem betrieb die NSA über die Zusammenarbeit mit dem BND in Bad Aibling politische Spionage gegen europäische Regierungen und Politiker sowie Institutionen der EU und der UNO.

Unsere Aufgabe als Abgeordnete im NSA-Untersuchungsausschuss ist es nun, das gesamte Ausmaß dieser rechtswidrigen Praktiken von BND und NSA zu untersuchen und dabei auch die Frage zu stellen, ob und inwieweit die Kontrolleure des BND im Bundeskanzleramt und in der Bundesregierung diese rechtswidrige Praxis nicht nur stillschweigend geduldet, sondern bewusst gefördert haben.

Damit wir Antworten auf diese Fragen erhalten und die Praxis der massenhaften anlasslosen Überwachung unserer gesamten Kommunikation gestoppt wird, brauchen wir weiterhin eine aufmerksame, kritische Öffentlichkeit, die ihren Protest sicht- und hörbar macht. Eine Gelegenheit bietet sich an diesem Wochenende in Berlin bei der "Freiheit-statt-Angst"-Demonstration. Wir sehen uns!

Der Artikel erschien am 20.06.2015 in der junge Welt.