"Eine Aussage von seltener Klarheit"

Martina Renner

Zwei Zeugenaussagen haben laut Martina Renner die Arbeit des NSA-Untersuchungsausschuss wichtige Schritte vorangebacht. Ein Bericht von der 43. Sitzung am 26. März 2015.

Am 26. März sagten die Zeugen Klaus Landefeld, Beirat der DE-CIX Management GMBH, und Hans de With, Mitglied und später Vorsitzender der G10-Kommission von 2005 bis 2013, in öffentlicher Sitzung aus. Bericht von der 43. Sitzung des 1. Untersuchungsausschusses am 26. März 2015

Klaus Landefeld, Vorstand des eco - Verband der deutschen Internetwirtschaft e.V. und für den Internetknoten DE-CIX verantwortlich, kritisierte deutlich, dass das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post und Fernmeldegeheimnisses, auch G10-Gesetz genannt, seit Jahren nicht den technischen Entwicklungen entspricht. Aus Perspektive der Telekommunikations-Anbieter, die die Anforderungen der Strafverfolgungsbehörden zur Erfassung von Daten umsetzen müssen, ist absolut unverständlich, warum die Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) sehr detaillierte technische Vorgaben macht, wie und auf welcher Grundlage Daten zu erfassen oder vorzuhalten sind, während sich das bei den G10-Anforderungen der Nachrichtendienste völlig anders gestalte. Hier fehlten klare technische Standards, Anforderungen oder Definitionen von Schnittstellen, kritisierte Landefeld.

Landefeld beschrieb auch, dass der eco e.V. mehrfach versucht habe, die oben beschriebenen Probleme mit Mitgliedern der G10-Kommission zu thematisieren. Es habe auf Seiten der Kommission mit Ausnahme eines inzwischen verstorbenen Mitgliedes aber kein Interesse am Austausch gegeben. Er zeigte sich ausgesprochen irritiert davon, dass sich nach den Snowden-Enthüllungen sowohl zeigte, dass die betreffenden Ministerien – Justiz und Wirtschaft – nicht über die Praxis der Datenerfassung durch den BND informiert waren und dass zudem aus dem Bundeskanzleramt die Aufforderung an die Betreiber des DE-CIX erging, Fragen der Presse nicht zu beantworten. Dies habe ihn in die schwierige Situation gebracht, ohne Rechtsgrundlage Fragen ausweichen zu müssen, die öffentlich sehr nachdrücklich diskutiert wurden: „Das hat nichts mit dem Rechtsstaat zu tun, sondern mit Powerplay“. Wie bereits mehrere Zeugen vor ihm bestätigte auch Landefeld, dass es in der paketvermittelten Kommunikation unmöglich sei, mit 100-prozentiger Sicherheit deutsche von nicht-deutschen Kommunikationen zu trennen.

Der eco-Vorstand kritisierte auch deutlich, dass die Interpretation der 20-Prozent-Klausel durch den BND bedeute, dass in der strategischen Aufklärung 20 Prozent der Gesamtkapazität der Übertragungswege erfasst werden. Da die Übertragungswege durch die Anbieter nie vollständig ausgelastet würden, bedeute dies, dass faktisch 50-60 Prozent der Kommunikationsdaten erfasst würden.

Zur Frage der technischen Sicherheit, also dem Schutz der Netze vor dem Zugriff ausländischer Nachrichtendienste, sagte Landefeld: „Das einzige, was wirklich funktionieren kann, ist Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Alles andere ist illusorisch.“ Er erläuterte aber auch, dass ein geheimer Zugriff aufgrund des Aufbaus der technischen Infrastruktur und den darin angelegten umfassenden Kontrollen der Betreiber schwer zu realisieren sei: „Einfacher ist der Datentausch mit den Diensten, die an die Daten ran dürfen.“ Zudem verwies Landefeld auf ein bisher nicht beschriebenes Detail: Es gebe Router, die sich physikalisch in Deutschland befinden und damit Daten auf deutschen Gebiet weiterverteilen, die aber dennoch von ausländischen Anbietern betrieben und aus dem Ausland gesteuert würden. Hier ist ungeklärt, nach welcher Rechtslage die Daten zu behandeln sind – letztlich eine Frage, die zur Zeit von den Anbietern entschieden wird. Landefeld berichtete, dass im August 2008, d.h. kurz vor Ende des Projekts Eikonal, auf Initiative des BND Gespräche zwischen BND und DE-CIX-Betreibern stattfanden mit dem Ziel, Details von geplanten G10-Anordnungen zu besprechen.

Dazu sagte Martina Renner, Obfrau der Fraktion DIE LINKE im 1. Untersuchungsausschuss: „Die gestrige Anhörung hat uns ein großes Stück vorangebracht. Wir haben nun deutliche Anhaltspunkte dafür, dass es in der Folge der Operation Eikonal einen Zugriff des BND direkt am Frankfurter Netzknoten DE-CIX gab. Dabei handelte es sich offensichtlich nicht um gezielte Überwachung, sondern um einen Abgriff, der in der Masse lediglich durch die begrenzten finanziellen Mittel des BND beschränkt wurde. Unklar ist vorläufig, ob der BND in eigenem Interesse gehandelt hat und ob auch diese Daten mit anderen Diensten, etwa der NSA, getauscht wurden.“

Hans de With, der mittlerweile 82-jährige ehemalige Vorsitzende der G10-Kommission, zeigte sich völlig überrascht davon, dass die Kommission nicht über die Operation Eikonal informiert worden war. Dies hätte seiner Meinung nach unbedingt geschehen müssen. Auch die von der Kommission zu prüfenden G10-Anordnungen, die teils den Zweck hatten, den Zugriff auf Auslands-Auslands-Verkehre zu ermöglichen, war ihm völlig unbekannt. Er sagte, dass solche Anordnungen mit Sicherheit nicht genehmigt worden wären, wenn der Kommission der tatsächliche Zweck bekannt gewesen wäre. Allein das Gebot der Verhältnismäßigkeit von Eingriffen in Artikel 10 des Grundgesetzes verbiete dies.

André Hahn, stellvertretendes Mitglied der Fraktion im Untersuchungsausschuss, kommentierte die Anhörung: „Hans de With hat eine Aussage von seltener Klarheit gemacht. Die G10-Kommission hätte den G10-Anordnungen für Eikonal nie zugestimmt, wenn ihr klar gewesen wäre, dass sie dazu genutzt wurden, Routine-Verkehre zu erfassen. Er hat uns bestätigt, dass die Kommission vom BND getäuscht wurde – ein einzigartiger Vorgang.“

Aus De Withs Sicht ist ein grundlegendes Problem für die Arbeit der G10-Kommission, dass ihren Mitgliedern aus Geheimschutzgründen nicht möglich ist, ihre Arbeit mit den Mitgliedern des Parlaments zu besprechen, da die Kommission selbst ja kein Gremium des Bundestages sei und damit eine Kontrollfunktion durch das Parlaments gar nicht wahrgenommen werden könne. Hier sei dringend Korrektur nötig.

Aus der Befragung des ehemaligen Kommissionsvorsitzenden wurde deutlich, dass der G10-Kommission die Tragweite der Umstellung der Telekommunikation von leitungs- auf paketvermittelte Kommunikation und die daraus resultierende Schwierigkeit, deutsche von nicht-deutschen Kommunikationen zu trennen, nicht deutlich war. Die Kommission verließ sich darauf, vom BND korrekt über die geplanten Maßnahmen informiert zu werden und hatte.

Auch Hans de With machte deutlich, dass der Artikel 10 des Grundgesetzes nicht nur als Grundrecht für Deutsche beschränkt werden darf, sondern für alle Menschen gilt.