Sieben kurze Thesen zu Pegida, AfD und Co.

Martina Renner

 

Auch wenn sich das sogenannte Orga-Team der Pegida-Proteste in Dresden gerade im Zerfall befindet, die TeilnehmerInnen-Zahlen der Aufmärsche sinken und ein interner Streit tobt, gibt es keinen Grund zur Entwarnung. Denn die AfD wird versuchen, die Pegida-Bewegten als (außer-)parlamentarisches Stimmenreservoir zu erschließen und die Neonazis versuchen, hier die Basis für radikale Aktionen gegen Flüchtlinge zu schaffen. Deshalb ist eine Verständigung in der LINKEN über Pegida und unseren Umgang damit dringend notwendig.

 

1. Sind Pegida und Co. ein ostdeutsches Phänomen?

Diese Frage lässt sich mit einem klaren „Jein“ beantworten. Ein Blick in die wichtigsten Ergebnisse der Studie „Die stabilisierte Mitte. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland“ (Die stabilisierte Mitte. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland, Decker/Brähler et al, Universität Leipzig, 2014) zeigt in Ost und West erschreckend hohe Zustimmungswerte für islamfeindliche Aussagen und eine breite Ablehnung gegenüber Flüchtlingen. „Jeder dritte Deutsche findet, Muslimen und Musliminnen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden, und 42,7 % der Befragten fühlen sich „durch die vielen Muslime manchmal wie ein Fremder im eigenen Land. […] Die Abwertung bündelt sich bei Muslimen und Musliminnen, Sinti und Roma sowie Asylbewerberinnen. Bei der Islamfeindschaft zeigt sich beim zweiten Item („Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land“) ein deutlicher Unterschied zwischen den Befragten aus den alten und den neuen Bundesländern (45,4% der Befragten aus dem Westen, aber nur 33,9% derer aus dem Osten stimmten dieser Aussage zu. Da in Ostdeutschland bekanntermaßen nur wenige Menschen muslimischen Glaubens leben, ist die Überfremdungsangst diffuser als in Westdeutschland. Besondere Aufmerksamkeit verdient die Abwertung von Asylbewerbern: gleich 84,7% der Befragten in Ostdeutschland finden es nicht wünschenswert, dass der Staat bei der Prüfung von Asylanträgen großzügig sei.“ (Decker/Brähler, Universität Leipzig/2014, S.50f). Auch regionale Studien, wie beispielsweise der Thüringen Monitor der Universität Jena kommen zu ähnlichen Befunden.

Auf der Handlungsebene gibt es aber sehr wohl Unterschiede: Ganz offensichtlich ist in den neuen Ländern die Bereitschaft viel höher, diese Einstellung an die Wahlurne – siehe die Wahlergebnisse für AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenburg und davor für die NPD - und auf die Straße zu tragen. Das hat Gründe. Im Westen scheitern derzeit die Exportversuche von Pegida und Co. auch, weil die Protagonisten als organisierte Neonazis bekannt sind.

Das heißt aber nicht, dass dies z.B. für alle Bereiche rechter Mobilisierungen zutrifft. Bei den aktionistischen wie gewalttätigen Aktivitäten gegen Flüchtlingsunterkünfte gibt es kaum Unterschiede zwischen Bayern und Sachsen. Bei den absoluten Zahlen liegt hier NRW bei den Gewalttaten gegen Flüchtlingsheime ganz vorne.

Dass im Westen andere Mobilisierungsformen durchaus greifen, um rechtspopulistische, fundamentalistisch-christliche und minderheitenfeindliche Positionen massenhaft zu aktivieren, zeigt sich an der organisierten Mobilisierung gegen den neuen Baden-Württembergischen Bildungsplan 2015 und die Verunsicherung dort unter Schwarz-Grün, wie damit umzugehen ist.

 

2. Dresden Hochburg von Pegida und Co. – Warum?

Auf die sächsische Spezifik zu verweisen hilft, aber fehlendes „Westfernsehen“ vor 25 Jahren erklärt gar nichts. Die regionale Spezifik der Mobilisierungserfolge in Sachsen liegt in einem Bündel von Faktoren:

  • Die Tradierung historischer Homogenitätsvorstellungen
  • der Dresdener Opfermythos
  • der kleinbürgerliche Mief
  • der große Einfluss konservativ-protestantischer und evangelikaler Strömungen im Dresdener Umland
  • im tradierten Autoritarismus der DDR
  • in der über zwei Jahrzehnte währenden quasi Ein-Parteienherrschaft der CDU
  • in den in zwei Jahrzehnten aufgebauten und inzwischen vor Ort fest verankerten extrem rechten Strukturen und Erlebniswelten (in keinem anderen Bundesland gibt es eine so hohe Dichte an RechtsRock-Gasthöfen, Neonazi-Immobilien, Festivals, Nationalen Fußballturnieren, Neonazi-Läden etc. wie in Sachsen), die erheblich zur Normalisierung und Akzeptanz extrem rechter und rassistischer Positionen beitragen.

Das entscheidende Moment ist aber: Nirgends haben Politik, Behörden, Wissenschaft und Medien so zur Normalisierung rechtspopulistischer wie neonazistischer Positionen beigetragen wie in Sachsen.

Dazu kommen eine nun jahrzehntelange Kontinuität von parlamentarischen Fraktionen rechts der CDU im sächsischen Landtag sowie zahlreiche Kommunalmandate für NPD, AfD, DSU, REPs und WählerInnenzustimmung von zuletzt 15% für diese Parteien. In Sachsen sind die Tabus gefallen, die nun bei Jauch und Co. langsam ebenfalls gebrochen werden. Zustimmung von CDU-Parlamentariern für NPD-Wahlvorschläge, Pressekonferenzen rassistischer Bündnisse in Räumen der Landeszentrale für politische Bildung, eine unwissenschaftlich und im Stakkato formulierte Extremismusdoktrin, staatlicher Verfolgung antifaschistischen Engagements, deutscher Opfermythos und vieles mehr. In diesem Klima kann eine real existierende lebensweltliche Parallelkultur der extremen Rechten gedeihen und Einfluss erlangen. Fragt man in bestimmten Regionen in Sachsen SchülerInnen, woher ihre Landser-RechtsRock-CDs stammen, sagen sie „aus dem CD-Regal meines Vaters“. Ein bundesweiter gesellschaftlicher Diskurs, für den z.B. die Sarrazin-Thesen symbolhaft stehen, wird in Sachsen materielle Gewalt auf der Straße. Seit mehreren Jahren führt Sachsen die Statistik der ostdeutschen Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt an.

Eine Ausnahme ist tatsächlich Leipzig, wo es schon vor 1989 politische wie kulturelle Alternativen gab und seitdem gibt und diese auch gelebt werden.

 

3. AfD und Pegida – Zwei Paar Schuhe oder eine Richtung?

Die AfD kann mit Fug und Recht als parlamentarischer Arm von Pegida bezeichnet werden. Immer mehr tritt bei dieser Partei Eurokritik und radikaler Neonliberalismus zurück und als Kernthema entwickelt sich rassistische Wohlstandsabschottung. Sie speist sich aus der Ideologie der Ungleichheit und ist eindeutig anti-egalitär und anti-liberal. Schnittmengen zu Pegida und Co. ergeben sich auch in einer Frontstellung gegen den verhassten Parteienstaat und demokratische Politikvermittlung. AfD und Pegida sind nicht systemkritisch, sondern fördern Entpolitisierung und autoritäre Staatsvorstellungen.


4. Kein Dialog mit Pegida und Co.

Das Handeln linker emanzipativer Politik muss darauf gerichtet sein, einer „Normalisierung“ rechtspopulistischer, antidemokratischer und rechter Vorstellungen wie Lebenswelten entgegenzutreten. Die größte Herausforderung für DIE LINKE ist nicht der Umgang mit Pegida und Co., sondern die Entwicklung eigener attraktiver Vorschläge und Modelle zur Überwindung der sozialen wie politischen Krise in Europa. Deshalb schauen wir am Sonntag lieber nach Athen statt montags nach Dresden. AfD und Pegida sind nicht das größte Problem der LINKEN, das ist die herrschende Politik der sozialen und politischen Verrohung.

Im Übrigen sollte sich DIE LINKE davor hüten, Positionen rechts von Angela Merkel einzunehmen.

 

5. Pegida als Ausdruck sozialer Abstiegsängste?

Pegida und Co. sind Mitte-Unten-Bündnisse. Sie sind sozial heterogen. Ihr Staats- und Gesellschaftsbegriff leitet sich nicht aus dem Grundgesetz und der offenen Gesellschaft, sondern aus den Vorstellungen eines homogenen „christlichen Abendlandes“ und einer homogenen “Volksgemeinschaft“ ab. Aus dieser Selbstverortung speist sich das aggressive Vorgehen gegen Andersdenkende und –Handelnde ab, die Hetze gegen Flüchtlinge, Linke, alternative Lebensvorstellungen, Intellektuelle und Medien ordnet sich genau hier ein. Der antidemokratische und völkische Kern liegt offen zu Tage: Pegida und AfD geht es um den Ausschluss aller Menschen, die qua ethnischer Herkunft nicht zu einer konstruierten Gemeinschaft hinzugehören.

Um nicht des offenen Rassismus bezichtigt zu werden, bedient die Führungsspitze von Pegida und Co. die Mär vom vermeintlichen „Kampf der Kulturen“ („Abendland“ gegen „Morgenland“) und ethno-pluralistische Vorstellungen.

Damit bietet Pegida und Co. keine einzige Schnittschnelle nach Links, ganz im Gegenteil. Sie muss Anlass für eine eindeutige wie strategische Distanzierung sein. Das heißt nicht, die weit verbreiteten sozialen Ängste zu ignorieren, das tat DIE LINKE noch nie. DIE LINKE ist Interessenspartei der Abgehängten und Ausgegrenzten, sie ist Interessenspartei des Ostens, verankert und ansprechbar. Ob dies so bleibt, entscheidet sich nicht an der Frage, ob mit „Pegida-AnhängerInnen“ geredet wird. Sondern daran, ob DIE LINKE für eine glaubwürdige Politik vor Ort und auch in den Parlamenten einsteht.

 

6. DIE LINKE muss Flagge zeigen.

Die Verunsicherung in den migrantischen Communities ist riesig. Solidarität ist jetzt mehr als ein Wort. Seit Wochen ist beispielsweise die Berliner LINKE überall dort, wo rassistische Mobilmachung betrieben wird - ob in Stadtteilen oder zentral gegen Bärgida - vor Ort. Eindeutig und unmissverständlich. Und sie ist Teil antirassistischer Arbeit, geräuschlos, ohne Aufhebens. Das Berliner Beispiel muss Praxis überall werden. Insbesondere die Länder Brandenburg und Thüringen haben hier hohe Verantwortung, mit Vorbildfunktion voranzugehen. Der Winterabschiebestopp in Thüringen ist da ein wichtiger Schritt und dass dagegen CDU-PolitikerInnen Sturm laufen, ist Ausdruck einer Auseinandersetzung weit über Pegida hinaus. Im Übrigen werden LINKE genau wegen ihres Engagements für Flüchtlinge und für ein anderes Gesellschaftmodell der Vielfalt gerade bei den jüngeren WählerInnen attraktiv – und Zielscheibe massiver rechter Angriffe, Bedrohungen und Gewalttaten.


7. Warten auf „Totlaufen“ – Nein.

Selbst wenn sich Pegida bzw. die Pegida-Führungsspitze zerlegt, und wenn vielerorts die hässliche Fratze der Neonazis und Hooligans - wie bei dem Aufmarsch Sügida in Thüringen und bei Legida in Leipzig sowieso - deutlicher zu Tage tritt und das Interesse der Medien erlahmt: Das Problem hinter Pegida und Co. bleibt und die AfD wird versuchen, das Stimmenpotenzial gezielt einzufangen und Neonazis werden versuchen, die Proteste weiter zu radikalisieren.

Linke Politikvermittlung ist allerdings derzeit nicht gerade attraktiv und populär. Es hilft wenig auf die LeserInnen von Kopp-Verlag und PI-News zu schimpfen und selbst die Diskurse in taz und ND zu führen. Wir müssen in der Fläche mehr präsent sein – beispielsweise durch bürgerschaftliche Dialogforen und gezielte Auftritte von Fraktions- und Parteiprominenz in „umkämpften“ Regionen. Schließlich sind sichtbare Alternativen gefragt: von Blockupy bis zu einer erfolgreichen Rot-Rot-Grünen-Regierung. Dann wird die Luft für Pegida, AfD und Co. dünner.

Martina Renner, Sprecherin für antifaschistische Politik, DIE LINKE im Bundestag, im Februar 2015