"Daten müssen sinnvoll vernetzt werden"

Quelle: Deutschlandfunk/23.03.2016/Dokumentation

Martina Renner im Gespräch mit Ann-Katrin Büüsker

Ann-Kathrin Büüsker: Über die Forderung nach mehr Datenaustausch auf europäischer Ebene für mehr Sicherheit habe ich vor dieser Sendung mit Martina Renner gesprochen, Bundestagsabgeordnete der Linken und Mitglied im Innenausschuss. Und ich habe sie gefragt, ob sie sich dieser Forderung anschließt.

Martina Renner: Das ist natürlich eine Situation, in der wir als Innenpolitiker und Innenpolitikerinnen sofort zu solchen sehr technischen Konsequenzen gefragt werden. Und ich glaube, solche Terroranschläge sind auch geeignet, erst mal zu sagen, ich glaube, auch aus Respekt vor den Opfern braucht man eine gewisse Zeit der sachlichen Analyse zu dem, was tatsächlich vorgefallen ist, welche Vorgeschichte die Täter haben, welches Wissen in den Sicherheitsbehörden zu diesen Personen vorlag, um dann die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Diese Forderung nach Datenaustausch kommt ja regelmäßig und meistens sehr schnell. Und ich glaube, sie greift an vielen Stellen zu kurz oder ist möglicherweise auch sehr plakativ und symbolisch gemeint.

Ich will das mal kurz argumentieren. Wir haben ja einen vielfältigen Datenaustausch zu terroristischen Gefährdern, national, aber auch auf europäischer Ebene, auch im internationalen Rahmen. Und auch in diesem Fall, aber auch schon bei vorangegangenen schrecklichen Terroranschlägen, ist ja offenbar geworden, dass die Täter durchaus Polizei und Justiz bekannt waren. Bei einigen konnte man sogar nachweisen, dass die Geheimdienste zu ihnen schon Informationen gesammelt haben. Es scheint ja so zu sein, dass nicht, ich sage mal, das Vorhandensein von Daten das Problem ist, sondern die Frage, inwieweit Sicherheitsbehörden in der Lage sind, im Rahmen der Prävention, also der Gefahrenabwehr im Vorfeld aus den Daten die richtigen Schlüsse zu ziehen, um zum Beispiel Terroranschläge zu verhindern. Und da sage ich ganz deutlich: Sicherheitsbehörden, hier meine ich die Polizeien. Dort ist originär die Aufgabe, präventiv wirksam zu werden, aber auch Strafverfolgung durchzuführen. Ich glaube, da spielt Europol, das BKA eine entscheidende Rolle. Und man muss sich jetzt, glaube ich, auch in der Analyse des Tatgeschehens und der Vorgeschichte der Täter fragen, wie wir es bei vielen terroristischen Strukturen ja auch in der Vergangenheit getan haben: Wie sehen die Netzwerke aus? Wie verlaufen Radikalisierungen der Täter? Diese Personen sind oftmals polizeibekannt, im Vorfeld durch sogenannte Alltagskriminalität in Erscheinung getreten, waren teilweise auch schon in Gefängnissen. Spielt das dort eine Rolle in der Radikalisierung? Was läuft zum Beispiel in den Knästen ab? Gibt es dort entsprechende Deradikalisierungsmaßnahmen. Oder gibt es dort auch, ich sage mal, Konstellationen, wo durch Mitgefangene dieser Radikalisierungsprozess beschleunigt wird?

Büüsker: Wenn ich kurz einhaken darf? Wenn ich zusammenfassen darf, was Sie bisher gesagt haben, komme ich zu dem Urteil, dass Sie der Meinung sind, es braucht definitiv nicht mehr Datensammlung und auch nicht mehr Datenaustausch, sondern es fehlt an der praktischen Auswertung.

Renner: Informationen der Geheimdienste gelangen oftmals zu spät zu den Strafverfolgungsbehörden

Renner: Genau, die praktische Auswertung unter bestimmten Fragestellungen. Darauf wollte ich hinaus. Wie verlaufen Radikalisierungen? Wie sehen die Netzwerke aus? Und zum Beispiel ganz klassische Polizeiarbeit: Wo haben die Täter die Tatmittel her? Woher stammen die Waffen, woher stammt der Sprengstoff? Wie wird über Anschlagspläne gesprochen? Wie kommunizieren die Täter? Ich glaube, das ist sehr wichtig zum Erhellen. Und da kommt dann etwas hinzu, was wir ja auch aus anderen Kontexten kennen als Problematik. Natürlich richten die Geheimdienste derzeit auf diesen islamistischen Terror ein großes Maß an Aufmerksamkeit und dort werden auch Informationen erhoben. Aber diese Informationen aus den Geheimdiensten gelangen oftmals zu spät oder gar nicht zu den zuständigen Strafverfolgungsbehörden: Entweder weil die Geheimdienste diese nicht weitergeben wollen, weil sie sagen, mit denen müssen wir noch operieren. Oder aber sie geben sie weiter unter der Einschränkung, dass sie nicht verwandt werden können, der sogenannte Quellenschutz. Das ist etwas, was als grundsätzliches Problem, glaube ich, aufgeworfen werden muss bei diesem Datenaustausch. Oftmals wird der unter Vorbehalt gestellt und das nutzt den Polizeien ganz wenig. Ich weiß von Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen in dem Bereich, dass sie sagen, wir haben das Problem, wenn wir eine Information aus einem Geheimdienst bekommen, dann können wir im Grunde überhaupt nicht nachprüfen, woher die stammt, diese Information, wie wertig sie ist. Wir können sie nicht gegenchecken, wir müssen ihr vertrauen und möglicherweise ist sie auf Grundlage, was man so nennt, von Quellenschwindelei entstanden, weil die zum Beispiel Zuträger ja dafür Geld bekommen und dann manchmal vielleicht übertreiben oder sich als Doppelagenten aufführen, zum Beispiel auch den Geheimdiensten falsche Informationen geben und Ähnliches. Die Polizeien müssen tatsächlich in die Lage versetzt werden, eigenständige Gefährdungsanalysen durchzuführen, möglicherweise auch durch eigene nachrichtendienstliche Mittel, die dann aber natürlich unter auch parlamentarischer Kontrolle stehen. Um zum Beispiel diese Informationen hinsichtlich ihrer Richtigkeit auch überprüfen zu können.

Und das Zweite ist klassische Polizeiarbeit. Und wenn es dort mangelt an Personal und technischem Know-how, Sprachkenntnissen oder Möglichkeiten, dann muss man tatsächlich mit zum Beispiel in Deutschland dem BKA darüber reden, was dort notwendig wäre, um zum Beispiel diese Aufklärungsarbeit im Vorfeld wirklich erfolgreich durchführen zu können.

Mehr lesen Sie hier

Direkt zum Audiolink