"Die Anzeige ist ein Warnsignal"

Quelle: Stern.de/31.07.2015/Dokumentation

Gegen den Blog netzpolitik.org wird wegen Landesverrats ermittelt - nicht nur für Martina Renner, Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss, ein Skandal. Sie sprach mit dem Stern über Pressefreiheit und den Verfassungsschutz.

Frau Renner, die Bundesanwaltschaft ermittelt wegen "Landesverrat" gegen netzpolitik.org - warum jetzt die ganz, ganz große juristische Keule?

Die aktuellen Ermittlungen gehen zurück auf eine Anzeige des Chefs des Bundesverfassungsschutzes. Der eigentliche Skandal ist, dass Herr Maaßen versucht darüber zu bestimmen, was kritische Berichterstattung darf und was nicht. Und dass der Generalbundesanwalt  sich in dieser Sache zum Büttel macht. Im Augenblick gäbe es durchaus dringendere Ermittlungen für den Generalbundesanwalt, zum Beispiel zum NSA-Spionageskandal, den Brandanschlägen auf Flüchtlingsheime oder dem NSU-Komplex. Aber da passiert entweder gar nichts oder viel zu wenig.

Wie glaubwürdig ist es, wenn der Verfassungsschutz eine solche Anzeige aufgibt?

Der Verdacht auf "Landesverrat" unterstellt, dass die Veröffentlichung der Dokumente durch netzpolitik.org der Bundesrepublik schweren Schaden zugefügt habe. Tatsächlich schadet nicht die Berichterstattung, sondern die Praxis der Geheimdienste dem Rechtstaat. Schließlich wurden die Ermittlungen doch von einer Behörde angestoßen, die sich, wie die NSU- und NSA-Affären deutlich zeigen, selber kritischen Fragen zu ihrem Rechtverständnis, ihrer Achtung von Verfassung und Grundwerten stellen müsste. Von dort geht die Gefährdung von Demokratie und Rechtsstaat aus. Es ist absurd, dass nun ausgerechnet diese Behörde gegen Presse vorgeht - und zwar offenbar nur, um Kritiker mundtot zu machen.  

Wer soll hier eigentlich eingeschüchtert werden - die Presse oder auch der Bundestag? Immerhin wird ja auch gegen "Unbekannt" wegen Weitergabe von Geheimnissen ermittelt.

Die Ermittlungen reihen sich ein in eine ganze Serie von Drohungen gegen Abgeordnete und Medien in den vergangenen Monaten. Zum Beispiel hat Peter Altmaier, der Chef des Bundeskanzleramtes, wiederholt vor Geheimnisverrat gewarnt. Jetzt wird mit einem unabhängigen Blog begonnen, dessen Macherinnen und Macher viel Unterstützung benötigen, um sich rechtlich und tatsächlich wehren zu können. Hinweise auf Ermittlungen gegen die Süddeutsche Zeitung, die in der Anzeige ebenfalls erwähnt ist, gibt es zurzeit noch nicht. Man geht hier also gezielt zuerst gegen ein kleines Medium vor, den vermeintlich schwächsten Part. Und nicht gegen Spiegel oder SZ - was der Verfassungsschutzchef übrigens auch gerne tun würde. Herr Maaßen ist kein Freund der Demokratie und der Pressefreiheit. Die Anzeige ist eine unmissverständliche Drohung an alle Journalisten und potenziellen Whistleblower.

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